Dass die Menschen, die Marc Prensky in seinem 2001 erschienenden Aufsatz als “Digital Natives” bezeichnete, keine besonderen Wesen mit quasi angeborenen digitalen Fähigkeiten und sogar anderen Gehirnfunktionen sind, darin waren sich die meisten der Teilnehmenden einig. Viele, die nach 1980 geboren sind, gehen sicherlich unbefangener mit “digitalen Medien” um, aber nicht unbedingt kompetenter. Gleichwohl entstand eine Diskussion darüber, welche Erwartungen der Begriff “Digital Native” eigentlich an diese vermeintliche Generation stellt und was das für die Praxis bedeutet.
In seinem Vortrag betrachtete Prof. Dr. Rolf Schulmeister unter Einbeziehung verschiedener Studien kritisch einige der Eigenschaften, die Prensky den “Digital Natives” zuschreibt. Dabei warf er einen empirischen Blick auf die Mediennutzung der Jugendlichen: wenngleich Jugendliche vermehrt das Handy bzw. das Smartphone nutzen, so ist es für sie vor allem ein Mittel der Kommunikation mit den Peers – etwas, wie Prof. Schulmeister im Fazit festhielt, was schon immer stattgefunden habe, nur eben auf anderen Kanälen.
Allerdings trage die exzessive Nutzung mobiler Kommunikationmittel mit dazu bei, dass die Konzentrationsfähigkeit in formellen Bildungskontexten sinkt, was sich in den Benotungen der Leistungen widerspiegele. Auch nutze nur eine Minderheit digitale Medien im Kontext von kollaborativem Zusammenarbeiten (z.B. Wikis) und zum Lernen – Informationen im Netz werden zwar durchaus viel rezipiert, es fehlt aber an einer genaueren Bewertung und Weiterverarbeitung. Insgesamt, so Prof. Schulmeister in seinem Fazit, würden Freizeit und Lernen auseinanderbrechen, vor allem würde das, was in der Freizeit mittels Smartphone und Computer alles so gemacht wird, nicht ins Lernen transferiert.
In der anschließenden Podiumsdiskussion ging es dann um die Frage, ob der Begriff denn nun vor dem Hintergrund der Ausführungen von Prof. Schulmeister überhaupt noch haltbar sei, welche Rolle er in der Praxis einnimmt und ob die Art und Weise der Nutzung digitaler Medien denn nun tatsächlich mit dem Faktor Alter zusammenhängt.
Mythos Digital Natives: Kinder sind nicht per se kompetenter im Umgang mit Medien als Erwachsene, nur unbefangener. #digikompz
— Joerg Weiss (@jjjweiss) 1. September 2014
Tim Moritz Hector, Vorsitzender des Präsidiums von Wikimedia Deutschland e.V. , berichtete von seinen unterschiedlichen Erfahrungen in der Vermittlung von Wikipedia an SchülerInnen sowie SeniorInnen. Sein Fazit: Zwar hätten ältere Menschen im Vergleich tatsächlich größere Probleme damit, die technische Funktionsweise digitaler Medien zu verstehen, hier seien Jugendliche klar im Vorteil. Sobald diese technischen Einstiegshürden überwunden seien, sei den Älteren jedoch das Prinzip kollaborativer Projekte wie Wikipedia sehr viel schneller klar. Im Vergleich zu jungen Menschen würden Sie viel schneller hinterfragen, wo denn die Informationen überhaupt herkommen und sich damit auseinandersetzen, wie sie selber am besten einen Beitrag leisten könnten. Das ältere Menschen zwar öfter Nachholbedarf in Bezug auf die Technik haben, jedoch einen großen Willen zur gesellschaftlichen Teilhabe über digitale Medien aufweisen und deren Potenziale in dieser Hinsicht oft sehr gut einschätzen könnten, konnte auch Günter Voß vom SeniorenComputerClub Berlin-Mitte bestätigen.
Auf der anderen Seite scheint es den Jugendlichen genau an dieser Kompetenz zu mangeln, was sicherlich auch darauf zurückzuführen ist, dass der Begriff der “Digital Natives” nach wie vor häufig falsch verstanden werde – mit fatalen Folgen für das Bildungssystem. Häufig werde nämlich davon ausgegangen, junge Menschen seien automatisch versiert im Umgang mit digitalen Medien und man müsse ihnen folglich auch nichts mehr beibringen, wie aus dem Publikum angemerkt wurde. Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Tatsächlich hatte die Kultusministerkonferenz bereits im März 2012 beschlossen, Medienbildung als Lernbereich nachhaltig in der schulischen Bildung zu verankern.
Allerdings stelle sich hier die Frage der richtigen Implementierung, so die freiberufliche Medienpädagogin Kristin Narr. Es sei falsch, den Fokus darauf zu legen, die Schülerinnen und Schüler einseitig darin zu schulen, wie sie beispielsweise ihre Privatsphäreeinstellung auf Facebook ändern können, sondern es gehe vielmehr darum, sie zu Beteiligung und Partizipation an der Gesellschaft zu motivieren und zu befähigen.
Versucht man nun, die zentralen Erkenntnisse des Abends zusammenzufassen, könnte man sagen: Digital Native sein heißt über Digitale Kompetenzen zu verfügen und zwar nicht nur im Sinne technischen Verständnisses für die Funktionsweise digitaler Medien. Es geht eben auch darum, ein ausgeprägtes Bewusstsein für deren Möglichkeiten und Potenziale in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe zu entwickeln und sie in dieser Hinsicht zu nutzen. Hier scheint es bei allen Altersgruppen gleichermaßen Förderbedarf zu geben, wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen.
Hier gibt es die Veranstaltung in voller Länge zu sehen: