Problematisch wird es, wenn man sich den wenigen harten Inhalten der Rede nähert. Jimmy Wales sprach über die Freiheit des Wortes, über Zensur etc. Und stilisierte sich und die Wikimedia-Bewegung als als Träger einer Gemeinschaft, die sich diesen Werten verpflichtet sieht. Das teile ich. Und ich denke auch, dass ein Großteil der Wikimedia-Bewegung das so sieht. Aber Jimbo Wales? Ich muß gestehen, dass diese Rede mir im Laufe der Zeit nicht nur immer mehr Unbehagen bei mir erzeugte, sondern auch Ärger. Da sprach der Großmeister der Wikimedia-Projekte von der Freiheit des Wortes und des Internets, die verteidigt werden müssen. Und ich begann mich zu erinnern… – war es nicht dieser Jimbo Wales, der nach schlechter Presse bei Fox News damit begann missliebige Bilder ohne jede Grundlage auf Wikimedia-Commons zu löschen? War nicht dieser Jimmy Wales einer der Protagonisten, die den Bildfilter für die Wikimedia-Projekte wollte? Ist es nicht dieser Jimmy Wales, der uns hier erzählen wollte, dass die Lage der Wikimedia-Projekte in China mittlerweile “stabil” sind, weil man uns nicht mehr sperrt? Und am Rande oder in Nebensätzen die Kompromisse dafür andeutet? Ist es nicht der Jimmy Wales, der seinen angekündigten und zur Verleihung seines Privatpreises gehörenden Besuch bei seinem letztjährigen “Wikipedian of the Year” noch nicht antrat, sich aber dazu heute äußerte? Zur Erinnerung: letztes Jahr gewann ein kasachischer Autor (soweit, so gut und überhaupt nicht zu kritisieren!). Der Preis des letzten Jahres soll aber möglichst im Beisein des “Präsidenten” Kasachstans vergeben werden und man werkelt noch am passenden Termin…. Wir erinnern – “Präsident” von Kasachstan ist der Altkommunist und mittlerweile autoritär regierende Nursultan Nasarbajew. Meinungsfreiheit ist eingeschränkt, das Internet wird zensiert. Und Jimmy Wales scheint sich gerne in der Sonne der Großen zu zeigen. Egal wofür sie stehen. Jimmy – du willst mir wirklich von der Freiheit des Wortes und des Internets erzählen? Wie soll ich das denn ernst nehmen?
Und das Volk jubelt seinem Herrn zu. Ohne zu denken. Ein Trauerspiel, bei den eigentlich so vielen klugen Leuten hier. Nicht dass es falsch ankommt – bis zu einem gewissen Punkt schätze ich Jimmy durchaus. Aber die Apotheose, die gottgleiche Verehrung geht wirklich zu weit. Er ist ein Mensch mit diversen Schwächen. Und er selbst würde das wohl als Letzter bestreiten.