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Status, quo vadis? Die Reformdebatte zum Urheberrecht

WMDE allgemein

28. November 2011

Kein Zweifel: Das Urheberrecht hat sich mittlerweile von einer hoch komplizierten Spezialmaterie für Juristen zu einem Dauerbrenner in der politischen Arena entwickelt. Nicht nur behandelte die Enquete-Kommission “Internet und Digitale Gesellschaft” das kontroverse Thema mit besonderer Dringlichkeit, auch die im Bundestag vertretenen Parteien treten in schöner Regelmäßigkeit mit z.T. sehr weitreichenden Reformideen an die interessierte Öffentlichkeit. Nach den Modernisierungsvorschlägen der Partei DIE LINKE vor der Sommerpause gibt es nun auch eine ständige Web-Präsenz der Union, wo ebenso eine faire Ausbalancierung der Interessen von Urhebern, Verwertern und Nutzern gefordert wird.

Diese Trias angemessen zu berücksichtigen, hatte sich auch ein Leitantrag des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen zur Aufgabe gemacht, der vergangenes Wochenende auf dem Kieler Parteitag mit einigen Veränderungen verabschiedet wurde. Zuvor hatte es parteiintern erbitterten Streit vor allem über eine Passage gegeben, die statt der 70 Jahre post mortem auctoris im geltenden Urheberrecht eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption vorsah. Viele Branchenverbände hatten daraufhin protestiert und den Grünen eine gezielte “Enteignung” der Urheber vorgeworfen. Bevor es zum öffentlichen Eklat zwischen Kultur- und Netzgrünen kam, entschied man sich, die Passage zu streichen und stattdessen eine weichere Formulierung aufzunehmen, wonach man bis 2013 die “Möglichkeiten der Veränderung und Flexibilisierung der gegenwärtig sehr langen urheberrechtlichen Schutzfristen” zumindest prüfen wolle.

In dem langen, 16-seitigen Antragstext gibt es einige Passagen, die für Wikipedia relevant sind.  Für die “transformatorische” Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte, also dem generischen Prinzip der freien Online-Enzyklopädie, empfehlen die Grünen eine Regelung analog dem US-Copyright, wo es statt einer Vielzahl von Schrankenbestimmungen eine Fair-Use-Klausel gibt, die einen rechtssicheren Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material – auch bei neuen Technologien und Nutzungsarten – ermöglicht.

Ein explizites Lob der Creative-Commons-Lizenzen als privater Regulierungsform innerhalb des geltenden Urheberrechts darf freilich nicht fehlen. Auch wird der Einsatz von freien Lehrinhalten nach dem Ansatz der Open Educational Resources (OER) im Bildungsbereich klar befürwortet. Doch insgesamt, so der sich aufdrängende Eindruck, sträuben sich die Grünen vor der Konsequenz, über wirklich freie Lizenzen auch kommerzielle Formen der Nachnutzung zu erlauben. So nehmen sie zwar Anstoß an der Depublizierung gebührenfinanzierter Inhalte des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, fordern aber deren Zugänglichmachung lediglich unter einer CC-NC-Lizenz. Aus Sicht von Wikimedia Deutschland ist eine solche Beschränkung auf Privatpersonen oder gemeinnützige Zwecke systematisch nicht gerechtfertigt. Denn auch Unternehmen tragen über ihre steuerlichen Abgaben und Gebührenbeiträge schließlich etwas zum Erhalt des dualen Rundfunkystems bei. Ein kluges Geschäftsmodell für die Nachnutzung von gebührenfinanzierten Inhalten (was nicht nur konfektionierte Sendungen, sondern auch Rohdaten, Grafiken und Statistiken einschließen könnte) sollte daher nicht behindert werden.

Selbst im Hinblick auf die eigenen Inhalte der Grünen ist wohl noch ein wenig Überzeugungsarbeit vonnöten: So sollen deren Wahlprogramme, Broschüren, Fotos oder Videos künftig unter eine CC-BY-NC-SA  “oder freier” gestellt werden. Letzteres wäre als Standardbestimmung gerade auch für die leichtere archivarische Erschließung und Zugänglichmachung wünschenswert, worauf Wikimedia Deutschland bereits in direkten Gesprächen mit dem Archiv Grünes Gedächtnis hingewiesen hat.

Die Problematik der verwaisten Werke, die mangels geklärter Rechteinhaber der digitalen Allmende vorenthalten werden, fand leider keinen Eingang in das grüne Grundsatzpapier. Dabei ist diese Frage für eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Wissensgesellschaft essenziell. Ein gemeinsames Positionspapier von Wikimedia Deutschland e.V., Digitale Gesellschaft e.V. und Open Knowledge Foundation Deutschland e.V. , das im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz veröffentlicht wurde, fordert in diesem Zusammengang eine Koppelung von Schutzfristen an ein Werkregister für urheberrechtlich geschützte Werke. Ist ein aktueller Rechteinhaber auf eine eindeutige und automatisierbare Weise nicht ermittelbar, sollte dadurch eine umfassende Nachnutzung möglich werden. In diesem Zusammenhang befürworten wir den Aufbau einer frei zugänglichen Datenbank für Werke und Rechteinhaber auf europäischer Ebene.

Malte Spitz, als Mitglied des Bundesvorstands von Bündnis 90/Die Grünen massiv an der Orientierung der netzpolitischen Debatte innerhalb seiner Partei beteiligt, freute sich in einem Interview über den Debattenbeitrag der drei gemeinnützigen Vereine: “Ich finde es gut, dass sich die Debatte verbreitert und auch viele Organisationen daran teilnehmen, die für eine Einbindung der Zivilgesellschaft stehen und damit auch Nutzerinnen und Nutzer vertreten.”

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