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Digital Services Act

Was die Einstufung als „Very Large Online Platform“ für die Wikipedia bedeutet

Die Europäische Kommission hat Wikipedia als „Very Large Online Platform“ eingestuft. Dadurch wird sie in Zukunft von strengen Regeln und Auflagen des Digital Services Act betroffen sein. Was bedeutet das für die Community und die Plattform-Betreiberin Wikimedia Foundation?

Friederike von Franqué

10. Mai 2023

Das Digitale-Dienste-Gesetz (englisch: Digital Services Act – DSA), das am 17. Februar 2024 in Kraft tritt, bringt neue Regeln für Online-Plattformen. Dabei geht es um unterschiedliche Themen, wie zum Beispiel den Umgang mit illegalen Inhalten, die Transparenz von Onlinewerbung und den Zugang zu Plattformdaten für Forschende. Für besonders große Plattformen gelten im DSA nochmal strengere Regeln. Mit selbst geschätzten 151 Millionen Nutzenden pro Monat wurde Wikipedia nun von der Europäischen Kommission im Rahmen des DSA als VLOP (“very large online platform”) eingestuft. Wikipedia ist in dieser Gruppe von 19 VLOPs die einzige nicht gewinnorientierte Plattform.

Neue Verpflichtungen für die Foundation

Die Verpflichtungen des DSA richten sich an die jeweiligen Diensteanbieter (Service Provider) und bedeuten damit vor allem Änderungen für die Wikimedia Foundation. Dazu gehören europaweite „Notice & Action“-Regeln, die vorschreiben, wie die WMF auf an sie gerichtete Lösch- und Änderungsanfragen zu reagieren hat. Auch wird die WMF zukünftig regelmäßige Risikobewertungen für systemische Risiken (u. a. für die öffentliche Gesundheit, den Schutz von Kindern und das Recht auf freie Meinungsäußerung) vorlegen müssen, Maßnahmen zur Risikominderung auf dieser Grundlage transparent machen und einen externen Audit durchführen lassen. Viele Regeln des DSA gelten jedoch gar nicht für Wikipedia, da die Wikimedia-Projekte keine Werbung beinhalten und keine Boosting-Algorithmen anwenden, um zu modellieren, was die Nutzenden sehen.

Auch wenn die WMF die meisten Berichtspflichten und Transparenzgebote des DSA bereits erfüllt, erhöht sich ihr bürokratischer Aufwand: Die WMF muss etwa ihre internen Prozesse so anpassen, dass sie mit dem neuen „Notice & Action“-Rahmen übereinstimmen – also ein transparentes, konsistentes Beschwerdeverfahren sicherstellen. Sie muss ein Verfahren zur jährlichen Risikobewertungen und Risikominderung einrichten sowie Berichterstattung dazu leisten. Und sie muss darstellen, was sie gegen Desinformation unternimmt und wie sie den Schutz von Minderjährigen sicherstellt. Wie dieser Schutz unter Beibehaltung der bewährten Anonymitätsregeln, also auch ohne die Angabe des Alters von Nutzenden, erreicht werden kann, ist bislang noch ungelöst. Jedes Quartal müssen die Nutzenden-Schätzungen für die EU veröffentlicht werden und die Wikimedia Foundation muss die Prüfung all dieser Aspekte durch eine geeignete Organisation sicherstellen.

Von den VLOPs wird erwartet, dass sie zur Datenbank der Europäischen Kommission für Moderationsentscheidungen beitragen. Ob und wie eine solche Datenbank mit den EU-Datenschutzgesetzen vereinbar ist, bleibt allerdings abzuwarten.

Geteilte Zuständigkeiten

Die regulatorische Aufsicht über den DSA übernehmen die sogenannten Digital Services Koordinatoren (DSC), nationale Behörden, die sich um kleinere nationale Plattformen kümmern. Die Europäische Kommission koordiniert und beaufsichtigt die Extra-Pflichten der sehr großen Plattformen. Die Einstufung als VLOP bedeutet für Wikimedia, dass die WMF eine*n gesetzliche*n Vertreter*in in der EU ernennen und sich damit auch für einen Gerichtsstand (ein Land) entscheiden muss. Wenn beispielsweise eine Anwaltskanzlei mit Sitz in Irland gewählt wird, wäre der irische „Koordinator für Digitale Dienste“ (Digital Services Coordinator, kurz DSC) auch für Projekte wie Wikimedia Commons oder Wikidata zuständig, im Fall der Wikipedia außerdem die Europäische Kommission für die nur für VLOPs geltenden Pflichten.

Für die Foundation bedeutet auch der nach DSA regelkonforme Betrieb der kleineren Wikimedia-Projekte – wie Wikimedia Commons – eine nicht unerhebliche Aufgabe. Wenn die Aufsichtsbehörden nicht davon überzeugt werden können, dass Wikipedia „systemische Risiken“ wie Wahlmanipulationen, Hass und Schutz von Minderjährigen richtig angeht, dann werden die WMF und die Communitys gefordert sein, zusätzliche Antworten darauf zu finden.

Ob auf die Communitys selbst Aufgaben zukommen werden, muss sich noch zeigen. Zum jetzigen Zeitpunkt sind noch keine bekannt. Die Wikimedia Organisationen setzen sich dafür ein, dass in der weiteren Ausgestaltung von Leitlinien und Durchführungsbestimmungen durch Regulierungsbehörden die Besonderheiten der Wikimedia-Projekte berücksichtigt werden.

Chancen für Community-basierte Plattformen

Während des Entstehungsprozesses des DSA und in den begleitenden Verhandlungen konnte Wikimedia wiederholt zeigen, dass Projekte wie Wikipedia Inhalte anders moderieren als kommerziell orientierte Plattformen. Freiwillige Redaktionsgemeinschaften einigen sich auf Regeln und setzen sie durch. Das machen sie gut. Damit sind sie eine solide Alternative zur Regelsetzung von den Dienstleistern selbst, die darüber hinaus nach Gutdünken geändert werden können. Freie Redaktionsgemeinschaften machen ihre eigenen Regeln.

Die Verpflichtungen des DSA sind daher auch eine Chance für Wikimedia zu zeigen, dass die Einhaltung von Regeln auf eine Art und Weise erfolgen kann, die die Rechte der Nutzenden respektiert.

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