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Offener Brief zum Digital Service Act

Wikimedia Deutschland und andere europäische NGOs fordern Stärkung von Grundrechten

Gemeinsam mit über 70 europäischen Organisationen fordert Wikimedia Deutschland in einem offenen Brief, dass sich der Digital Services Act mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientieren soll. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sich bei den Trilogverhandlungen für den Grundrechteschutz und gegen manipulative Praktiken bei Online-Tracking einsetzen.

Frank Böker

3. März 2022

Der offene Brief vom 1. März 2022 im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Volker Wissing, Bundesministerium für Digitales und Verkehr,

Sehr geehrte Frau Bundesministerin Steffi Lemke, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz,

Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Marco Buschmann, Bundesministerium für Justiz,

Die unterzeichnenden 72 europäischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in Deutschland durch Amnesty International Deutschland, Digitale Gesellschaft und Wikimedia Deutschland vertreten werden, fordern, dass das neue Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) den Menschen dient und mit dem Schutz der Grundrechte in der EU vereinbar ist.1

Unerwünschte Online-Tracking-Werbung und Dark Patterns

Um die toxischen Auswirkungen von Geschäftsmodellen, die auf Tracking und Targeting basieren, zu bekämpfen, sollten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, unserer Meinung nach, den Vorschlag des Europäischen Parlaments unterstützen, Artikel 13a („Gestaltung und Organisation von Online-Schnittstellen“) in den DSA aufzunehmen und Artikel 24 („Transparenz von Online-Werbung“) zu stärken.

Dark Patterns sind manipulative Softwareschnittstellen, die darauf abzielen, Nutzerinnen und Nutzer dazu zu bringen, unbeabsichtigt der Weitergabe ihrer persönlichen Daten zuzustimmen. Das Verbot des Einsatzes von Dark Patterns in Artikel 13a wird es Menschen ermöglichen, eine wirklich informierte Entscheidung darüber zu treffen, wie und mit wem sie ihre Daten online teilen wollen. Das Verbot, sehr sensible personenbezogene Daten für gezielte Werbung zu nutzen (Artikel 24) wird den Schutz der Menschen im Internet erhöhen und Missbrauch sowie illegale Datenerhebungspraktiken verhindern.

Tracking-gestützte Online-Werbung bedroht unsere Menschenrechte, vor allem das Recht auf Privatsphäre, was wiederum weitere Rechte, wie das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung, Gedankenfreiheit und das Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung, beeinträchtigt. Diese Praktiken beruhen auf dem massenhaften Sammeln personenbezogener Daten und deren algorithmischer Auswertung und tragen zu einer Manipulation der öffentlichen Meinung, zu Diskriminierung und zur Förderung toxischer Inhalte bei.2 Darüber hinaus ermöglicht Tracking-basierte Werbung es, die Schwächen von Menschen auszunutzen, indem sie bereits bestehende Vorurteile und Ausgrenzungen verfestigt und dazu führt, dass bestimmte Personengruppen, wie Frauen und ältere Menschen, beispielsweise bei Stellenanzeigen ausgeschlossen werden.3

Der Großteil der Menschen möchte keine personalisierte Werbung4 und entscheidet sich gegen Tracking, wenn sie wirklich die Wahl haben.5 Außerdem ist es auch im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen, dass die großen Online-Plattformen strengeren Vorschriften unterworfen werden, die einschränken, wie persönliche Daten für gezielte Werbung genutzt werden dürfen.6

Der DSA birgt das Potenzial, das kaputte und auf dem Sammeln von Daten basierende System grundlegend zu verändern und die Grundrechte der Internetnutzerinnen und -nutzer zu schützen. Das Gesetz muss das alles durchdringende Geschäftsmodell des Online-Trackings abschaffen und die sogenannten Dark Patterns, die Nutzerinnen und Nutzer dazu verleiten, unfreiwillig persönliche Daten preiszugeben, verbieten.

Nur wenn, wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, Artikel 13a aufgenommen und Artikel 24 gestärkt wird, kann der DSA auch den Weg für menschenrechtsfreundlichere Methoden der digitalen Werbung ebnen. Dazu gehört z. B. Werbung, die auf kontextbezogenen Informationen basiert, was sich sowohl aus Sicht der Nutzerinnen und Nutzer7 als auch aus wirtschaftlicher Sicht als vorteilhaft und effektiv erwiesen hat.8

Förderung der Grundrechte im DSA

Das Recht auf Privatsphäre und der Schutz personenbezogener Daten sind Grundrechte, die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sind. Der DSA muss daher den Schutz dieser Rechte gewährleisten, einschließlich des Schutzes der Pseudonymität in öffentlichen Online-Räumen und des Rechts, frei von allgemeiner Überwachung zu kommunizieren und sich auszudrücken.

Um diese Rechte zu fördern, müssen die Mitgliedstaaten dem Vorschlag des Europäischen Parlaments in Artikel 7 zustimmen: „Keine Verpflichtung zur allgemeinen und wahllosen Vorratsspeicherung personenbezogener Daten“ und „Kein Eingriff in das Angebot verschlüsselter Dienste durch die Anbieter“. Diese beiden Vorschläge würden den Schutz der Grundrechte und die Cyber-Sicherheit in der EU erheblich verbessern, indem sie dazu beitragen, das Risiko von Datenlecks, Identitätsdiebstahl, Einbrüchen in Online-Konten, unrechtmäßiger gezielter Überwachung von Journalistinnen und Journalisten sowie von finanziellen Verlusten und anderen Formen von Cyberangriffen zu verringern.

Mit Blick auf die in den nächsten Wochen anstehenden Trilog-Verhandlungen bitten wir Sie, unsere Empfehlungen zu berücksichtigen und wir hoffen, dass es Ihnen gelingen wird, den DSA zu einem Instrument zur Förderung eines menschenrechtskonformen Online-Umfelds für Europa und darüber hinaus zu machen.

Die unterzeichnenden Organisationen:

1. European Digital Rights 2. Civil Liberties for Europe 3. Amnesty International 4. Amnesty Germany 5. Amnesty Spain 6. Amnesty France 7. Amnesty Italy 8. Amnesty Luxembourg 9. Amnesty Denmark 10. Amnesty Netherlands 11. PLATAFORMA POR LA LIBERTAD DE INFORMACIÓN (PLI) 12. Global Forum for Media Development 13. Sum of Us 14. Homo Digitalis 15. Access Now 16. Centre for Democracy & Technology, Europe Office 17. Equipo Implementación Decenio Afrodescendiente 18. Vrijschrift.org 19. European Youth Forum 20. Iuridicum Remedium (IuRe) 21. Gong 22. Elektronisk Forpost Norge 23. Rights International Spain 24. Controle Alt Delete 25. Digitale Gesellschaft e.V. 26. Maruf Foundation 27. ASOCIACIÓN USUARIOS FINANCIEROS – ASUFIN 28. COGAM, Colectivo LGTB+ de Madrid 29. Ranking Digital Rights 30. Committee to Protect Journalists 31. Global Witness 32. Peter Tatchell Foundation 33. Je Suis Là 34. Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) 35. European Roma Grassroots Organisations Network 36. Associazione Antigone 37. Peace Institute 38. Digitas Institute 39. Alliance4Europe 40. Democracy and Human Rights Education in Europe 41. Fair Vote 42. UNBLACK THE BOX 43. The Signals Network 44. Irish Council for Civil Liberties 45. Global Action Plan 46. Alianza por la Solidaridad-ActionAid 47. IT-Pol 48. Reframe Health and Jsutice 49. Human Rights Monitoring Institute 50. Bulgarian Helsinki Committee 51. Racism and Technology Center 52. Avaaz Foundation 53. EUROPEAN FEDERATION OF PUBLIC SERVICE UNIONS 54. Health Action International 55. epicenter.works – for digital rights 56. LobbyControl 57. Bits of Freedom 58. Estonian Human Rights Centre 59. Lie Detectors 60. Center for Economic Justice 61. Defend Democracy 62. Ligue des droits humains 63. Global Voices 64. Waag 65. Wikimedia Deutschland e. V. 66. Panoptykon Foundation 67. European Center For Not-For-Profit Law (ECNL) 68. Institute for Strategic Dialogue (ISD) 69. DataEthics.eu 70. Centre for Research on Multinational Corporations (SOMO) 71. Fitug e.V. 72. Državljan D / Citizen D

Fußnoten

1. Mehr über die Empfehlungen: EDRi, “DSA trilogue recommendations EDRI 2022”, verfügbar unter: https://cloud.edri.org/index.php/s/iTi8D9f bwexcob4, EDRi, February, 2022.

2. Amnesty International, Surveillance Giants: How the Business Model of Google and Facebook Threatens Human Rights, 2019, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/documents/pol30/1404/2019/en/; Discrimination through optimization: How Facebook’s ad delivery can lead to skewed outcomes, arXiv:1904.02095, April 2019, verfügbar unter: https://arxiv.org/abs/1904.02095 ; Time To Ban Surveillance-Based Advertising The case against commercial surveillance online, Forbrukerradet, June 2021, verfügbar unter: https://www.forbrukerradet.no/wp-content/uploads/2021/06/20210622-final-report-time-to-ban-surveillance-based-advertising.pdf; Galaski, Simon, Solutions for Targeted Political Advertising on Online Platforms, Civil Liberties Union for Europe, November 2, 2021, verfügbar unter: https://dq4n3btxmr8c9.cloudfront.net/files/MM-Oxv/Solutions_for_Regulating_Targeted_Political_Advertising_on_Online_Platforms.pdf.

3. Algorithms of trauma: new case study shows that Facebook doesn’t give users real control over disturbing surveillance ads, Panoptykon Foundation, September 2021, https://en.panoptykon.org/algorithms-of-trauma; How Facebook’s ad targeting may be in breach of UK equality and data protection laws, Global Witness, September 2021, verfügbar unter: https://www.globalwitness.org/en/campaigns/digital-threats/how-facebooks-ad-targeting-may-be-in-breach-of-uk-equality-and-data-protection-laws/.

4. Do people really want personalised ads online? Global Witness, April 2021, verfügbar unter: https://www.globalwitness.org/en/blog/do-people-really-want-personalised-ads-online/.

5. 96% of US users opt out of app tracking in iOS 14.5, analytics find, ars Technica, May 2021, verfügbar unter: https://arstechnica.com/gadgets/2021/05/96-of-us-users-opt-out-of-app-tracking-in-ios-14-5-analytics-find/.

6. France/Germany: Small businesses want EU to get tough on Google and Facebook’s invasive advertising – new research, Amnesty International, January 2022, verfügbar unter: https://www.amnesty.org/en/latest/news/2022/01/france-germany-small-businesses-want-eu-to-get-tough-on-google-and-facebooks-invasive-advertising-new-research/.

7. The IAB Europe Guide to contextual advertising, IAB Europe, July 2021, verfügbar unter: https://iabeurope.eu/wp-content/uploads/2021/07/IAB-Europe-Guide-to-Contextual-Advertising-July-2021.pdf.

8. Sustainable without surveillance, ICCL review of sustainable publishing and tracking-based advertising, Irish Council for Civil Liberties, October 2021, verfügbar unter: https://www.iccl.ie/wp-content/uploads/2021/10/Sustainable-without-surveillance.pdf.

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