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Camouflierte Interessen: Auf Du und Du mit dem Urheberrecht

WMDE allgemein

14. Mai 2012

Mit dem in der letzten ZEIT veröffentlichten Aufruf “Wir sind die Urheber” ist eine seit Jahren andauernde Debatte endgültig Mainstream geworden. Günther Jauch muss sich so langsam darauf gefasst machen, dass es beim betulichen Schlagabtausch unter der Donnerkuppel demnächst etwas kleinteiliger und juristischer zugehen dürfte. Der Grund für den plötzlichen Hype des Urheberrechtsthemas? Sicherlich das Erstarken der Piratenpartei. Obwohl, das allein dürfte die zunehmende Verhärtung kaum erklären.

Es gibt wohl kein Thema, das den Bereich “Politik und Gesellschaft” bei Wikimedia Deutschland mehr beschäftigt als der Reformbedarf beim Urheberrecht. Nicht erst in den letzten Monaten, seit Jahren schon. So verfassen wir Stellungnahmen für das BMJ und geben Inputs für Grünbücher, nehmen an Hearings der EU teil, klären über die Ausweitung von Schutzfristen auf, thematisieren in Wahlprüfsteinen die Effekte eines restriktiven Urheberrechts und erläutern in Broschüren und auf Podien die Wirkungsweise freier Lizenzen. Immer und immer wieder.

Vor allem aber reden wir darüber, ständig. Und solange Zusammenkünfte mit Akteuren aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft lösungsorientiert und mit einem Multi-Stakeholder-Ansatz erfolgen, gibt es über bestimmte Unstimmigkeiten des geltenden Urheberrechts sofort einen Grundkonsens: Ja, die Zustimmungspflichtigkeit jedes Veröffentlichungsvorganges entspricht dem technischen Stand des analogen Zeitalters; ja, die Trennung zwischen Nutzungshandlungen im privaten und gewerblichem Kontext im Zeitalter von Blogs und Social Networks ist schon konzeptionell nicht mehr aufrechtzuerhalten; ja, die Proliferation verwaister Werke und damit die Nicht-Verfügbarkeit von Wissensbeständen bei gleichzeitiger Überproduktion auf den Kulturmärkten ist im Grunde ein Skandal für jede selbst ernannte “Bildungsrepublik”. Auch auf dem von iRights.info eingeleiteten “Urheber-Nutzer-Dialog” am letzten Freitag war dieser Common Ground deutlich zu spüren.

Doch sobald die Arenen des Austauschs so gestaltet sind, dass das eigentliche Thema die Anpassungprobleme von Rechteverwertern mit ihren auf Werkstücksverkauf und Kopienkontrolle fußenden Geschäftsmodellen sind, geraten auch wir schnell zwischen die Fronten der Partikularinteressen. Ich durfte diese Erfahrung erst letzte Woche wieder machen, als beim Medientreffpunkt Mitteldeutschland ein Vertreter von Sky Deutschland leutselig verkündete, endlich habe sich mit Sven Regener ein Vertreter der Urheber zu Wort gemeldet.

Die gegenwärtige Urheberrechtsdebatte, und das ist ein kritischer Befund für die Belange Freien Wissens, wird fast vollständig auf die Refinanzierungsprobleme von Inhalteanbietern (Fernsehen, Film, Musik, Buchbranche) und die Existenzsorgen von Urhebern enggeführt. Letztere sind durchaus kein neues Phänomen, siehe die Jahresberichte der Künstlersozialkasse. Und gerade deshalb erstaunt die Beharrlichkeit, mit der die Unterzeichner des ZEIT-Aufrufs – samt und sonders Bestsellerautoren mit vergleichsweise hoher Umsatzbeteiligung – offenbar kein Problem mit den Verhältnissen haben, unter denen etwa Übersetzer oder freie Journalisten ihre Miete erwirtschaften müssen. Die gesamte Bigotterie des Aufrufs, der durch einen bekannten Literaturagenten orchestriert wurde und in einer Publikation des Holtzbrink-Verlags sein Forum fand, wird durch den CARTA-Kommentar von Petra van Cronenburg deutlich: “Ich verdiene meinen Lebensunterhalt nicht durch die Existenz des Urheberrechts, sondern durch knallharte Verhandlungen mit immer sparsameren Auftraggebern.”

Zum geschickten Camouflieren der eigenen Interessen passt, dass die VG Wort in die ganze Aufregung hinein ein Positionspapier platziert hat, bei dem ein Lob für Creative-Commons-Lizenzen (“Auch hier ist der Urheber, der freiwillig entscheidet, welche Nutzungen und Bearbeitungen er erlauben will.”) mit einem Bekenntnis zum gesetzgeberischen Status-Quo verknüpft wird: “Eine Schutzfristverkürzung würde das geistige Eigentum der Urheber deutlich entwerten ohne von wirklichem Vorteil für die Allgemeinheit zu sein.”

Dass allein die Piratenpartei und der CCC mit seinem Modell der “Kulturwertmark” hinter solche vermeintlichen Wahrheiten ein Fragezeichen setzen, macht die Debatte nicht eben einfacher. Die zuletzt sehr erfreulichen Reformüberlegungen auch bei den etablierten Parteien werden durch den gebetsmühlenartigen Vorwurf des “profanen Diebstahls” (ZEIT) zunehmend zum Erliegen gebracht. Dass die stürmischen Zeiten der Copyright Wars dennoch weitergehen, scheint indes ausgemacht: Denn immer mehr Menschen spüren, dass Schutzrechte, die ursprünglich nur für professionelle Marktteilnehmer entwickelt wurden, in ihre ganz profanen Alltagsabläufe eingreifen. Man denke nur an einen Lehrer, der im 21. Jahrhundert noch mit dem Pritt-Stift hantieren muss, oder das schon fast sprichwörtliche Geburtstagsvideo auf YouTube.

Wikipedianer, die als starke, weil: autonome Urheber wertvolle Beträge zur Wissensallmende erbringen, werden sich in diesen Kämpfen nicht immer wiederfinden. Die “Kostenlos-Kultur”, die das Internet lange vor dem WWW und damit den digitalen Geschäftsmodellen entwickelt hat, gilt ihnen nicht als Diffamierung ihrer Tätigkeit, sondern als Aspekt einer Kultur des Teilens, die auf möglichst breiten Zugang statt auf Beschränkung setzt. Dass die Philosophie des Open Content nicht als nachahmenswertes Modell für sämtliche Marktteilnehmer im Internet taugt, sollte uns bewusst sein. Dass aber der Mehrwert freier Lizenzen neuerdings schon als Vorwand dafür herhalten muss, überhaupt keinen Reformbedarf mehr beim Urheberrecht zu erkennen, muss uns ernsthaft zu denken geben.

Kommentare

  1. Andreas Moser
    1. Juni 2012 um 15:21 Uhr

    Ich verstehe die Kritik an der 70-Jahre-Schutzfrist nicht: Wer nicht das Urheberrecht an einem Buch sondern ein Grundstück oder eine Firma erbt, behält dieses Recht ohne jede zeitliche Begrenzung. Wieso sollten die Erben der Urheber schlechter gestellt werden?
    Wenn schon, dann muß diese Diskussion zum Anlaß genommen werden, vollständig über das Erbrecht nachzudenken: http://mosereien.wordpress.com/2012/06/01/urheberrecht-erbrecht-schutzfristen/

  2. […] schon wieder was passiert.” In den letzten Tagen und Wochen durfte man sich als Beobachter der Urheberrechtsdebatte ganz ähnlich fühlen wie der leidgeprüfte Kommissar Brenner in den Romanen von Wolf Haas. Denn […]

  3. […] Urheberrechtsdebatte erscheint auch deshalb so verfahren, weil es dabei zwei grundsätzliche Sichtweisen gibt, die sich […]

  4. […] Urheberrechtsdebatte erscheint auch deshalb so verfahren, weil es dabei zwei grundsätzliche Sichtweisen gibt, die sich […]

  5. […] Urheberrechtsdebatte erscheint auch deshalb so verfahren, weil es dabei zwei grundsätzliche Sichtweisen gibt, die sich […]

  6. Alexander
    19. Mai 2012 um 10:36 Uhr

    Hallo patrik.
    Es sollte meiner Meinung nach nicht darum gehen, Privatleute per Urheberrecht zu bestrafen. Wenn ich schreibe, der Gesetzgeber wäre gefragt, dann stelle ich mir vor, dass die Verwerter der Urheberrechte in die Pflicht genommen werden müssen, wenigstens vergleichbare legale Angebote zu schaffen, wie auch nachgefragte illegale vorhanden sind.

    Um Rabulistik vorzubeugen, das soll nicht heißen, dass die Verwerter die Dateien in die Tauschbörsen einstellen, sondern dass die Verwerter zum Beispiel Dateien unterschiedlicher Qualität in unterschiedlichen Preisstufen anbieten. Konsequenterweise muss auch eine Dateiversion dabei sein, die Konsumenten rein werbefinanziert (gratis) anhören/anschauen können.

    Andeutungsweise gibt es das heute schon bei Spotify und Deezer oder eben im Werbefernsehen. Tendenziell herrscht aber immer noch Zurückhaltung (Youtube). Verwerter dürfen nicht nur den Schutz des Urheberrechts genießen, sie müssen auch in die Angebotspflicht genommen werden.

    Das sollte zum Beispiel auch einschließen, dass die Verwerter Urheberrechte vorzeitig zurückgeben müssen, wenn sie nicht bereit sind, Angebote an den Markt zu bringen.

    Das ist nichts anderes als: Sonderpflichten für Sonderrechten. Das fehlt bisher gänzlich im Gesetz. Alle jene, denen das Denkmodell des “Geistigen Eigentums” gefällt sollten/müssten dies eigentlich bereits aus dem GG – Eigentum verpflichtet – ableiten. Tun sie aber nicht. Nicht andeutungsweise.

    Zum Autobeispiel: Wenn sich Fußgänger am Zebrastreifen mit Autos messen, geht das aus wie eine Auseinandersetzung von Privatleuten gegen Verwerter vor Gericht. Die Privaten sind finanziell stark geschädigt, wenn nicht gar zerstört. Die Abmahnindustrie nimmt mit über 200.000 Abmahnungen pro Jahr in Deutschland etwa ein halbe Milliarde Euro ein.
    Siehe http://www.pcgameshardware.de/aid,868260/Kanzleien-versenden-ueber-200000-Abmahnungen-im-Jahr-2011/Internet/News/
    Alleine dieser Umstand sollte deutlich machen, dass mit der Gesetzeslage etwas nicht stimmt.

    Das Urheberrecht kommt aus einer Zeit, als es Werkschaffende gegenüber Verwertern stärken sollte. Heute wird das Urheberrecht von Verwertern gegen Konsumenten eingesetzt. Das ist grundfalsch, eigentlich missbräuchlich. Die Rechtspraxis könnte sich meiner Meinung nach dadurch normalisieren, dass die illegalen Angebote durch legale schlicht verdrängt werden. Soviel sozialen Instinkt haben die meisten Internetflaneure, dass sie die legalen Möglichkeiten, wenn sie denn überhaupt im Angebot sind, unterstützen.

  7. patrik
    19. Mai 2012 um 01:24 Uhr

    Hallo Mathias, oh, das ist ja interessant, danke für die Anfrage (wir scheinen ja offenbar eine Twitter-offene Kommission zu haben :)). Na dann warten wir mal ab.

    Hallo Alexander, “Der illegale Musik und Filmdownload wuchs, weil es zuerst keine und bis heute wenige und vergleichsweise teure legale Angebote gab.” schreibst du, und das stimmt wohl irgendwie, aber du folgerst dann weiter, dass der Gesetzgeber nun in der Pflicht wäre, Modelle zu entwickeln, “die die Konsumente nicht regelrecht in die Illegalität treiben.” Ich teile diese Meinung nicht. Das Internet hat den Weg für massive Eingriffe in die Rechte von Urhebern geebnet. Wer als Künstler auf seine Internetseite ein Musikstück einstellt, kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass es von irgendjemandem in Youtube o.Ä. eingestellt oder an ganz anderen Stellen im Internet auftauchen wird. Warum sollte der Gesetzgeber legitimieren, was andere unberechtigt tun? Können wir nicht mit der gleichen Logik die Höchstgeschwindigkeit in Spieltraßen heraufsetzen, weil sich niemand daran hält? Sollten wir 14-Jährigen Wodka verkaufen, weil viele 14-Jährige ohnehin Zugang dazu haben, wenn sie wollen? Entfernen wir Fußgängerüberwege wieder, wenn nur ausreichend viele Autofahrer sie ignorieren? Aus meiner Sicht nein: Aus Unrecht entsteht kein Recht.

    Beim Urheberrecht liegt vieles im Argen – die angesprochenen Leistungsschutzrechte sind für mich das zentrale Beispiel (jüngst von unseren Lobby-Freunden auf EU-Ebene bekanntlich vollends ad absurdum geführt), die mangelnde Transparenz und ausufernden Sonderbestimmungen, mithin auch die Länge von Schutzfristen und derlei mehr. Aber die Rhetorik, das Urheberrecht müsse nun die Legitimation für die eklatanten Rechtsverletzungen schaffen, die im Internet allgemeine Praxis sind, ist für mich kein Grund für eine solche Änderung. Ja, die illegalen Angebote wachsen nach. Ja, die Rechtsverletzungen nehmen überhand. Aber selbst wenn man das feststellt, ist es immer noch besser, dass ein Urheber in der Praxis zumindest noch selektiv gegen Rechtsverletzer vorgehen kann als dass er es gar nicht kann. Zugleich soll der Rechtsverletzer auch genau das Bewusstsein haben, dass er die Rechte eines anderen verletzt und dass er zumindest dafür belangt werden kann; auch das ist die Grundlage für einen Rechtstaat. Viele Seiten weisen demgegenüber immer auf eine angebliche Sonderstellung des Internets hin, das neue Möglichkeiten erforderlich mache; ich kann keine Basis dafür erkennen. Wenn wir im Internet zulassen, dass A dem B Werke von der Seite herunterlädt und auf seine eigene einstellt, dann müssen wir das auch offline zulassen. Dann muss A auch Bs Werke ausstellen dürfen und dann muss er sie auf einem Flugblatt verteilen dürfen, denn hier besteht schlichtweg kein substanzieller Unterschied. Das Ergebnis ist für mich also entweder ein unsystematisches bzw. dogmatisch brüchiges Urheberrecht oder eines, dass vollends ausgehölt ist – beides keine Ergebnisse, mit denen ich gut leben kann.

  8. Mathias Schindler
    18. Mai 2012 um 21:26 Uhr

    @Patrik

    Ich habe noch einen Nachtrag für Dich. Zu deiner Frage bezüglich Wittem habe ich die EU-Kommissarin Neelie Kroes gefragt, ob diese Ausarbeiten von der Kommission berücksichtigt wurde und ob es nicht schön wäre, ein europaweites Urheberrecht zu haben. Neelie hat heute via twitter geantwortet:

    https://twitter.com/#!/NeelieKroesEU/status/203552747415543808

    “@NeelieKroesEU:
    .@ingridlunden @presroi wanted 2 know if @eu_commission is considering unified EU Copyright Code like Wittem copyrightcode.eu (yes, we are)”

    bzw.

    “.@presroi YES, @EU_Commission is thinking of this type of exercise. is written in the #IPR Strategy Comm adopted 2011 #copyright”

  9. Alexander
    18. Mai 2012 um 13:01 Uhr

    Ich denke, wenn Erben als Urheber tätig sind, gelten auch für sie die Urheberrechte. Wenn ein quirliger Geschäftsmann sich jedes Jahr neue Ideen einfallen lässt, wie er Geld verdienen kann und seine Familie damit ernährt, ist die Familie nach dem Tod des Geschäftsmanns auch auf sich selbst gestellt. Wenn der Geschäftsmann ein Vermögen angehäuft hat, kann die Familie davon leben. Wenn nicht, dann nicht.

    Der Grund, wieso die Urheber-Erben er Gesetz in eine so vorzügliche Situation versetzt werden können, hat einzig damit zu tun, dass es sich bei dem immateriellen Gut von Anfang an um ein lediglich auf Gesetzespapier gewährtem Gut handelt. Drum sind die Nutzungs- und Verzinsungsmöglichkeiten auch lediglich von den im Papier festgehaltenen Zahlen und Modalitäten abhängig und nicht von der realen Welt und schon gar nicht vom Tod.

    Wieso verlieren Patente nach ein paar Jahren ihren Schutzstatus, wenn nicht aus dem einzigen Grund, dass irgendwann die Allgemeinheit zu ihrem Recht kommen muss.

    Es gibt vermutlich ebenso viele Erben, die ein Urheberrechtserbe im Sinne des verstorbenen Urhebers verwalten, wie solche, die das nicht im Sinne des Urhebers tun. Spätestens mit dem Tod des Urhebers sollte das bis dahin gewährte Urheberrecht in Form der Freigabe an die Allgemeinheit zurückgegeben werden. Schon als Anerkennung der Rechte der Allgemeinheit, die bis dahin den Urheber in einer besonders geschützten Position sein Werk schaffen ließ.

    Wieso denken wir die Idee derer, die das Urheberrecht nicht an die technischen Gegebenheiten anpassen wollen, nicht mal zu Ende?
    Es gibt zwei große Szenarien, wenn sich nichts am Urheberrecht ändert und also auch die Verwerter ihre Geschäftsmodelle nicht anpassen.
    1: Die illegalen Angebote wachsen nach, wie die Vorgänger per Justiz entfernt wurden. Die Legislative hält still.
    2: Die Legislative wird aktiv. Das Postgeheimnis wird Geschichte. Internetprovider überwachen den Datenverkehr. Es folgen weitere schutzwürdige Interessen, die eine freie Meinungsäußerung immer schwerer machen.

    Wenn wir unserer freien Gesellschaft und den Künstlern eine Chance geben wollen, müssen wir das Urheberrecht anpassen. Der illegale Musik und Filmdownload wuchs, weil es zuerst keine und bis heute wenige und vergleichsweise teure legale Angebote gab. Einen Markt mit gebrauchten Waren gibt es lediglich bei Software und der wird mit Lizenzklauseln und Programmdownloads zunehmend beschwert. Preisliche Alternativen durch verschiedene Angebotsqualitäten, die technisch sehr leicht zu realisieren wären (128-320 kB/s oder VCD-HD), gibt es nur sehr eingeschränkt, weil die Verwerter ihr Monopol nur am oberen Preisrand zu nutzen gewillt sind.

    Da sähe ich den Gesetzgeber zuerst in der Pflicht. Es müssen Angebote her, die die Konsumente nicht regelrecht in die Illegalität treiben.

    Wo sind die digitalen Antiquariate, wo jeder seine alten Schundheftchen für ein paar Cent gegen neue eintauschen kann? Die Verwerter haben es sich im Schutze des abgekauften Rechts der Urheber gemütlich gemacht. Sie nutzen die digitale Technik einseitig zu ihren Gunsten und beschweren sich dann bitterlich, dass die selbstermächtigten Konsumenten das ebenfalls tun.

  10. Goldzahn
    17. Mai 2012 um 06:07 Uhr

    Zum Thema Verwertungsgesellschaft passt auch der heutige Artikel (14. Mai 2012) in der Signpost zum Thema open-access research publication. Jimmy Wales berät zu diesem Thema die britische Regierung (Aus guardian.co.uk: “help make all taxpayer-funded academic research in Britain available online to anyone who wants to read or use it. (…) The aim is that, even if an academic publishes their work in a traditional subscription journal, a version of their article would simultaneously appear on the freely available repository.”). Ich denke, der Punkt ist hier, dass ein Urheber aus dem “friß oder stirb”-Vertrag mit dem Verwerter befreit wird.

  11. […] insbesondere für das Thema Urheberrecht, das ja in den letzten Tage auch sehr rege im Vereinsblog diskutiert wurde. Kelda studierte Jura mit Schwerpunkt Immaterialgüterrechte und Wettbewerbsrecht u.a. an der […]

  12. Jan Engelmann
    15. Mai 2012 um 22:25 Uhr

    @Björn Ich verurteile diese Urheber nicht, ich sage, dass sie leider Teil einer medialen Inszenierung geworden sind, die viele wichtige Aspekte einer seit Jahren intensiv geführten Debatte vollkommen zudeckt. Es ist schlicht bedauerlich, dass im Kern juristische Fragestellungen plötzlich nicht mehr richtig adressiert werden können, weil das Textformat “Manifest” oder das Testimonial “Sven Regener” aufmerksamkeitsökonomisch eben besser ziehen. Das Gelingen dieses medialen Coups muss man neidlos anerkennen, ja. Die Frage der drohenden Prekarisierung von Kulturschaffenden ist aber im Kern eine sozialpolitische, auf die die Urheberrechtsdebatte sicherlich keine befriedigende Antwort geben kann. Für deutsche Schriftsteller kann man zumindest festhalten, dass es längst eine Menge direkter und indirekter Subventionen (Literaturpreise, Stipendien, Vortragshonorare, Stadtschreiberprojekte, Künstlersozialkasse, VG Wort, Buchpreisbindung etc.) gibt, die ihnen die Chance zu einer Mischkalkulation bei ihrer Tätigkeit geben. Das sind spezifische Errungenschaften, die schon lange vor dem Internet-Zeitalter existenzielle Risiken zumindest abgefedert haben. Die abweichende Haltung der Piraten im Hinblick auf die Bedingungen von Kreation kann die starken Verlustängste m.E. nicht ausreichend erklären.

  13. Björn
    15. Mai 2012 um 21:54 Uhr

    @Jan Ich sehe da eigentlich keine große Verschleierung, der von Ihnen zitierte Text “Wir sind die Urheber” ist doch eine Antwort auf die Forderung der Piraten, den Urhebern ihr bestehendes Recht auf Verwertung zu nehmen, in dem die nicht kommerzielle Weitergabe aller Digitalisate ermöglicht werden soll, was nichts anderes bedeutet als dass auch eine kommerzielle Verwertung ihrer Arbeit unmöglich wird. Deshalb sehen diese Urheber darin einen Angriff auf ihre bestehenden Verwertungsrechte und verwahren sich dagegen mit, wie ich finde, nicht von der zu Hand zu weisenden Argumenten, z.B. dem, dass das Urheberrecht so etwas wie professionelle Autorschaft erst ermöglicht hat. Diese Autoren wehren sich ja gerade gegen eine drohende Prekarisierung. Dass diese Autoren “offenbar kein Problem mit den Verhältnissen haben, unter denen etwa Übersetzer oder freie Journalisten ihre Miete erwirtschaften müssen” ist eine weitere, unbewiesene Unterstellung, davon haben diese Autoren überhaupt nicht geredet, wohl aber davon, dass vor allen Dingen global agierende Internetkonzerne an dieser nicht kommerziellen Freigabe des Urheberrechts verdienen. Aber ihr Text geht ja auf diese Argumente gar nicht ein, zur Verurteilung dieser Urheber reicht es anscheinend vollkommen, dass sie a) von Ihrer geistigen Arbeit leben können und b) dann auch noch für das böse Urheberrecht eintreten.

  14. Jan Engelmann
    15. Mai 2012 um 21:27 Uhr

    @Björn Der kurze Text sagt (oder wollte sagen): Das Urheberrecht regelt weder die individuelle Vergütung eines Urhebers in Euro und Cents, noch ist es in seinem Regelungsumfang auf die Situation professioneller Kulturschaffender begrenzt. Dass dies in der gegenwärtigen Debattenlage aber genauso dargestellt wird, halte ich für ein ernsthaftes Problem. Denn so wird gekonnt verschleiert, dass es durchaus einen enormen Regelungsbedarf insbesondere im Bildungs- und Wissenschaftsbereich oder bezüglich der Freigabe staatlicher Werke/öffentlicher Daten gibt. Warum diverse Kreativbranchen und “nahmhafte Ahnungslose” (telepolis) unter den Spitzenkreativen darüber aber nichts wissen oder wissen wollen, darüber kann wiederum ich nur spekulieren.

  15. Björn
    15. Mai 2012 um 21:07 Uhr

    leicht ruft es sich in pseudo-intellektuell verbrämtem Duktus nach “freiem” Wissen, wenn das eigene Gehalt am Geschäftsmodell von Spenden (oder Staatsknete) hängt, der Autor der Wikipedia aber mit dem guten Gefühl bezahlt wurde, irgendwie seinen Teil zur Wissensallmende beigesteuert zu haben. Was scheren uns da die “die Anpassungprobleme von Rechteverwertern mit ihren auf Werkstücksverkauf und Kopienkontrolle fußenden Geschäftsmodellen”? Damit wollen wir nichts zu tun haben, da finden wir uns nicht wieder. Oder welche Grundaussage verbreitet dieser Text eigentlich, ich habe das ernsthaft nicht verstanden.

  16. patrik
    14. Mai 2012 um 19:24 Uhr

    Marcus, ja, der vermögenswerte Bestandteil des Urheberrechts soll auch dazu dienen, dass der Urheber die Möglichkeit hat, solche Werke zu schaffen. Das widerspricht aber keiner längeren Schutzfrist. Der achtzigjährige Maler kann noch einige Einnahmen aus Nutzungsverträgen erzielen, weil der Lizenzinhaber weiß, dass auch nach dem Tod des Urhebers noch Urheberrechtsansprüche geltend gemacht werden können. Ebenso kann er seine Zeit in die Schaffung von Kunstprojekten stecken, weil er weiß, dass, wenn er stirbt, seine Kinder nicht im Regen stehen, da plötzlich sämtliche Nutzungsverträge aufgelöst sind. Hinzu kommt der ideele Bestandteil des Urheberrechts, der bei der Argumentation etwas verloren geht.

    Daniel, ich kenne mich im Steuerrecht nicht aus, aber von urheberrechtlicher Seite her weiß ich im Grundsatz, dass Urheberrechte auch der Erbschaftsteuer unterfallen, ebenso wie die Einnahmen aus den Verträgen der Einkommensteuer unterliegen. Daran sollte es also nicht hängen. Dein zweiter Punkt stimmt natürlich, deshalb habe ich auch geschrieben, dass ich mir nicht den Vergleich von Eigentums- und Urheberrecht zueigen machen will. Grund meines Vergleiches war nur die Behauptung von Marcus, es könne nicht Sinn eines Rechts sein, dass die Welt die Erben unterhält, die nichts dazu getan haben. Hier trifft der Vergleich, denn die Erben meines Vermögens oder meines Schlosses haben dieses auch nicht angesammelt bzw. gebaut und nutzen es mitunter noch nicht einmal, nachdem ich tot bin. Mit derselben Logik, so mein Punkt, könnte man dann ja auch konstruieren, dass es aus gesellschaftlicher Sicht nicht sinnvoll sein kann, dass die das behalten dürfen. Auf diesen möglichen Schluss wollte ich hinweisen.

  17. Goldzahn
    14. Mai 2012 um 18:55 Uhr

    Mir scheint dass da von Seiten der Verlage und erfolgreicher Autoren der Versuch gemacht wird mit Begriffen Politik zu machen. Der umkämpfte Begriff ist “Urheber” und er soll mit dem klassischen Modell des Produzenten von geistigen Werken verschmolzen werden. Die mir aus dem Umweltschutz bekannte Gegenstrategie – ich glaube der Chaos Computer Club arbeitet ähnlich (siehe “Staatstrojaner”) – wäre einen Gegenbegriff zu lancieren. Nur so als Beispiel: Eine Aufspaltung des Begriffs “Urheber” in “Starke Urheber” und “Schwache Urheber”. Ersteres sind die mit lobbystarken Verwertungsgesellschaften im Rücken und letzteres die ohne. Zu Letzteren zähle ich z.B. Facebook-Autoren, prekäre Künstler, die bei der GEMA untergebuttert werden, aber auch freie Journalisten und Blogger. Mir scheint, dass die “Schwachen Urheber” die Chancen der neuen Medien ergreifen, während die “Starken Urheber” davor Angst haben. Übrigens, der WP-Artikel Verwertungsgesellschaft ist recht interessant. Wie es scheint steht mit der GEMA ein Quasi-Monopolist den Quasi-Monopolisten der Musik- Film- etc. Industrie gegenüber. Die Alternative zu diesen Quasi-Monopolisten könnten eventuell die Künstleragenten (WP-Artikel: Künstleragentur) sein.

  18. Daniel Naber
    14. Mai 2012 um 18:27 Uhr

    @patrik: Der Schlosserbe muss normalerweise Erbschaftssteuer zahlen. Wie das beim Urheberrecht ist, weiß ich nicht (wüsste es aber gerne).

    Außerdem kann der Schlosserbe schlecht in seinem Schlafzimmer schlafen, wenn dort die Touristen durchlaufen. Aber der Urheber bzw. sein Erbe kann seine Werke weiter zeigen/nutzen/ändern, egal wie viele Kopien ich gezogen habe.

  19. Marcus Cyron
    14. Mai 2012 um 18:12 Uhr

    Ich halte es für absurd zu meinen, daß die Forderung daß das Urheberrecht auch wirklich nur für den Urheber gelten sollte eine Radikalforderung sei. In Anbetracht dessen, daß ein Goethe oder Schiller für ihre Werke noch gar kein Urheberrecht einfordern konnte, ging die Entwicklung danach ja wohl viel zu weit. Ja, geistige Schöpfungen sind immer auch Teil des Schöpfers. Aber genauso sind sie Teil des kollektiven Bewusstseins der Menschheit. Und etwas Anderes darf man auch nicht vergessen: man kann Kunst und Kreativität nicht essen! Das ist alles etwas, dem einzig die rezipierenden Menschen erst durch die Rezeption Wert geben. Das Andere nennt man nicht umsonst “brotlose Kunst”. Erträge aus dem Urheberrecht sollen dazu dienen, dem Urheber die Möglichkeit zu geben Derartiges zu schaffen. Und wenn es radikal ist zu sagen, daß das nicht auch noch zwei Generationen von Erben mitversorgen sollte (beredtes aktuelles Beispiel: Loriot-Briefmarken), bin ich gerne radikal. Das Urheberrecht heißt ja nicht ohne Grund nicht “Erben-des-Urhebers-Recht”.

  20. patrik
    14. Mai 2012 um 17:09 Uhr

    Mathias, das freut mich und zugleich teile ich deine Einschätzung. Es ist in der Tat Schade, dass da wenig passiert ist (politisch wundert es mich auch nicht, aber akademisch schon etwas).

    Jan, das hoffe ich, ich stelle dann mal, bevor ihr mir das Recht dazu wegreformiert, einen Soziologen mit Knebelvertrag als Ghostwriter an :).

  21. Jan Engelmann
    14. Mai 2012 um 16:47 Uhr

    @patrik Mir ging es ja nur darum zu verdeutlichen, dass der Aspekt des Investitionsschutzes leider auch die fortgesetzte Ausweitung der Schutzfristen mitbedingt, insofern muss man genau diese Verbindung zum Thema machen. Die “Use-it-or-lose-it”-Komponente, die du ansprichst, ist meines Wissens zwar State of the art in der akademischen Diskussion, wird aber realpolitisch (also als Beschlusslage) noch nicht aufgegriffen. Und: Den Klassiker zur Typologie von Wikipedianern möchte sicher nicht nur ich lesen ;-)

  22. patrik
    14. Mai 2012 um 16:44 Uhr

    Hallo Marcus, im Warhol-Fall möchte ich zum Beispiel einhaken. Warum sollte das Urheberrecht nicht auch dazu dienen, die Erben zu unterhalten? Wenn ich ein Schloss baue, die ich meinen in Japan lebenden Kindern vererbe, könntest du das identische Argument anführen, die würde der Allgemeinheit auch eher dienlich sein, wenn wir sie alle besichtigen dürften und die haben das Schloss auch nicht gebaut. Mein Punkt ist nun nicht, dass ich das Eigentumsrecht mit dem Urheberrecht gleichsetzen will. Aber ich empfinde es als Radikalrhetorik zu sagen, dass die Erben nichts davon haben sollen (dann kann man die Schutzfrist ja gerade auf 0 Jahre nach dem Tod herabsetzen). Der wirtschaftliche Bestandteil ist ja eben gerade auch ein Teil des Urheberrechts.

    Im Übrigen ergibt sich noch eine andere Problematik, die für mich häufig deutlich zentraler ist und in der Debatte häufig untergeht. Wenn die Schutzfrist ausläuft, dann fallen auch große Teile des ideellen Kerns des Urheberrechts weg. Weshalb muss sich mein Anerkennungsrecht aber auf meine Lebenszeit erschöpfen? Warum soll es meinen Erben nicht auch nach meinem Tod möglich sein, gegen die Entstellung meiner Werke vorzugehen? Ich finde diese Sorgen berechtigt.

    Finanzer, dass es der “Allgemeinheit” nützt, wenn Werke in die Gemeinfreiheit fallen, steht für mich jedenfalls auch außer Frage. Aber ein guter Rechtsstaat wird häufig aus guten Gründen Ergebnisse befördern, die der Allgemeinheit nur über ein paar Ecken nutzen (rechtsstaatliche Verfahren für norwegische Amokläufer zum Beispiel), die aber trotzdem konstitutiv für seine Existenz sind. Der Abwägungsprozess ist deshalb, finde ich, deutlich schwieriger als darauf zu verweisen, dass die Welt etwas davon hätte.

  23. Mathias Schindler
    14. Mai 2012 um 16:42 Uhr

    @Patrik:

    Ich kenne den “European Copyright Code” und meine, ihn an diversen Anlässen als Link herumgereicht zu haben. http://www.copyrightcode.eu/Wittem_European_copyright_code_21%20april%202010.pdf

    Erst das Positive:

    Der Entwurf ist großartig, was seine Klarheit angeht. Wenn es das Ziel war, den Beweis anzutreten, ein europaweit einheitliches Urheberrecht als Serviervorschlag zu präsentieren und die Debatte von “man müsste mal” nach “hier, so könnte man das machen” zu heben, dann ist es 100%ig erfüllt worden.

    Der Entwurf ist auch großartig, weil er nicht der beliebten Strategie folgt, zwei Schritte auf einmal gehen zu wollen und dann beide zu versemmeln: Es ist erstmal ein europäischer möglicher Konsens über Urheberrecht entlang bestehender Linien, keine Einführung neuer Prinzipien (ich habe ihn nur gelesen, keinen 1:1-Vergleich mit allen bestehenden Ordnungen gemacht.

    Das weniger schöne ist, dass seitdem auch akademisch wenig geschehen ist, geschweige denn politisch, um das Projekt European Copyright Code (in welcher Form auch immer) nach vorne zu bringen.

    Wenn es eine ausformulierte Position (statt wie aktuell implizierten Jubel darüber) gäbe, dann wäre es eher: Ja, super, gerne mehr davon. Ehrlich.

  24. Marcus Cyron
    14. Mai 2012 um 16:10 Uhr

    Nachtrag: besonders absurd ist natürlich, daß es theoretisch möglich wäre, auf Werke wie die Himmelsscheibe von Nebra ein Urheberrecht zu reklamieren – ab dem Moment der Erstveröffentlichung! Und hier ist der Urheber zweifelsohne mindestens 70 Jahre tot.

  25. patrik
    14. Mai 2012 um 16:09 Uhr

    Hallo Jan, gut, das ist ein anderer Aspekt. Ich bin mit dem Beispiel nicht so ganz einverstanden, speziell mit der Koppelung von urheberrechtlicher Schützbarkeit an die kommerzielle Nutzbarkeit. Wenn ich ein Buch schreibe und Nutzungsrechte entgeltlich einem Verleger einräume, dann ist der Betrag, den ich dafür erhalte, stets auch mit der Unsicherheit belastet, dass weder ich noch der Verleger weiß, ob mein Buch ein Erfolg wird oder nicht. Wenn ich den Klassiker zur Typologie von Wikipedianern verfasse, wird der Verleger an dem Buch eben mitunter zwanzig Jahre lang verdienen und nicht nur ein halbes. Da die Schutzdauer aber nicht auf Fallbasis neu ausgehandelt werden kann, muss hier wie ich meine durchaus ein Ausgleich geschaffen weden, da hilft ja soweit ich das verstehe auch eine flexible Schutzdauer nicht weiter. (Nota bene sollte sich die Schutzdauer, wenn man nicht nach Nutzungsart gleidern will, auch nicht darin erschöpfen, wie ein Werk kommerziell genutzt wird. Man könnte auch im Beispiel des erfolglosen Autors an einen regulären, ggf. noch gesetzlich zu stärkenden Rückruf der Nutzungsrechte nach § 41 UrhG denken; danach ist das Werk aber nicht mehr “faktisch ‘tot'”, weil der Urheber durchaus auch andere Zwecke damit verfolgen kann als den der Platzierung im Buchhandel.)

    Hat Wikimedia Deutschland eigentlich eine Position zu den Entwürfen eines European Copyright Code im Rahmen des WITTEM-Projektes? Leider scheint das in der derzeitigen Urheberrechtsdiskussion nie aufzutauchen.

  26. Marcus Cyron
    14. Mai 2012 um 16:08 Uhr

    @ patrik: Das Problem ist, daß man in dieser Richtung der Diskussion automatisch an das gedruckte Wort denkt. Nur geht es ja auch darüber hinaus. Auch ein Foto, ein Kunstwerk, ja letztlich jede menschliche Schöpfung, der eine eigene Schöpfungshöhe zugesprochen wird, erhält eine Schutzfrist von 31. Dezember des Todesjahres des Schöpfers + 70 Jahre. Was hat ein Fotograf davon, wenn wir seine Bilder heute nicht nutzen können, weil er etwa 1970 starb, diese aber aus historischer Sicht wichtig wären – ohne daß sich Erben aber in der Realität noch wirklich etwas dazu verdienen können? Oder warum darf ich Bilder von Andy Warhol nicht nutzen? Der Mann ist 25 Jahre (!) tot. Wie soll man ihm denn irgendetwas wegnehmen? Es kann nicht Sinn der Sache sein, daß die Welt seine Erben unterhält, die mit der Schöpfung nichts zu tun hatten. Wir können seinen Wikipedia-Artikel nicht adäquat bebildern. Leider. Dank der 70-Jahre-Schutzfrist….

  27. Finanzer
    14. Mai 2012 um 15:58 Uhr

    @Patrik: In Bezug auf Wikipedia und Wikisource habe ich vor einigen Tagen in meinem Blog bereits erläutert, welche Auswirkungen die langen Schutzfristen haben: http://www.finanzer.org/blog/2012/05/10/ohne-von-wirklichem-vorteil-fur-die-allgemeinheit/

  28. Jan Engelmann
    14. Mai 2012 um 15:04 Uhr

    @patrick Danke für deinen Kommentar. Im Hinblick auf die Funktionsweise von freien Lizenzen mag dieser Zusammenhang systematisch nicht bestehen, sehr wohl aber im Hinblick auf die aktive Nachnutzung und Rezeption kultureller Werke, die zum Wissensbestand einer Gesellschaft beitragen. Ein konkretes Beispiel: Sachbücher unterliegen der normalen Schutzfrist, haben aber im Buchhandel faktisch eine sehr kurze Verwertungsdauer. Erweisen sie sich in den ersten Monaten nicht als sogenannte “Schnelldreher”, so werden sie spätestens nach einem halben Jahr remitiert oder gemängelt. Abgesehen vom mikrigen Long Tail im Neuen Antiquariat oder den Tantiemen über die VG Wort können die Rechteinhaber (Urheber, Verwerter wie Leistungsschutzberechtigte) also nicht mehr von dem Werk nennenswert profitieren. Es ist für ihre Zwecke faktisch “tot”, von Dritten aber ebenso nicht nutzbar in bearbeiteter Form für neue mediale Szenarien. Wieso hält man hier an der gesetzgeberischen Fiktion fest, der Verwertungszyklus sei hier genau gleich wie bei fiktionalen Werken, bei denen oft die Einräumung von Nebenrechten (Film etc.) das einträglichste sind? Im Grunde laufen derartige Überlegungen auf eine Flexibilisierung der Schutzfristen hinaus, an die man eine Registrierungspflicht ähnlich wie bei Patenten knüpfen könnte. Nur leider gibt es zu dem Thema noch viel zu wenig empirisches Material, sodass jeglicher Vorstoß – siehe B90/Die Grünen im letzten Jahr – leicht als “Enteignung” gelabelt werden kann.

  29. patrik
    14. Mai 2012 um 14:39 Uhr

    Danke für den Beitrag. Mir leuchtet allerdings der angebliche Widerspruch zwischen dem Schaffen der “Wissensallmende” in Wikipedia und dem Verkürzen der Schutzfristen im Urheberrecht ebenfalls nicht wirklich ein. Es ist doch berechtigt, wenn jemand darauf hinweist, dass auch Wikipedia-Inhalte unter Lizenzbedingungen stehen, deren Zweck just darin besteht, jede freie Nutzung automatisch zu untersagen, sobald die Bedingungen nicht eingehalten werden. Für mich persönlich ist das Bekenntnis zu freien Lizenzen jedenfalls nicht mit einem Bekenntnis dazu verbunden, dass die Schutzfristen nun auch verkürzt werden sollen (auch wenn mir persönlich eine maßvolle Verkürzung angemessen erscheint, stärker nur im Bereich der Leistungsschutzrechte, die infolge technologischer Innovation schlichtweg große Teile ihrer Existenzberechtigung eingebüßt haben).

  30. Frank Schubert
    14. Mai 2012 um 14:23 Uhr

    Auch von meiner Seite ein herzliches Dankeschön für deinen Beitrag.

  31. Cornelius
    14. Mai 2012 um 13:26 Uhr

    Merci bien für diesen Beitrag!

  32. Ilja Braun
    14. Mai 2012 um 12:38 Uhr

    Hallo Jan,
    schöner Text! War mir gar nicht aufgefallen, dass ja auch die ZEIT zu Holtzbrinck gehört. Die meisten Erstunterzeichner sind übrigens auch Autoren von Holtzbrinck-Buchverlagen. Aber was CC angeht, ist diese “Vereinnahmung” dem Ansatz inhärent, vergl. dazu http://www.dobusch.net/pub/uni/Dobusch(2010)CC-Privates-Urheberrecht-(k)eine-Loesung-kursw.pdf
    Beste Grüße
    Ilja

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