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Fahrplan Digitalpolitik – Was planen Union und SPD für Freies Wissen?

Gut beschlossen ist noch lange nicht umgesetzt. Trotzdem sind im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU einige vielversprechende Punkte für Freies Wissen eingeflossen, von denen wir hoffen, dass sie auch tatsächlich bald in die Praxis umgesetzt werden.

Lilli Iliev

7. Februar 2018

Was bringt der Koalitionsvertrag für Freies Wissen? Foto: Bernd Fiedler (WMDE) [CC BY-SA 4.0]

Den größten Raum bei allen Digitalisierungs-Diskussionen nehmen die Themen Netz-Infrastruktur, Breitband-Ausbau und Netzabdeckung ein. Das sind wichtige Faktoren für den Zugang zu Freiem Wissen. Größeres Augenmerk legen wir jedoch auf einen guten Regelungsrahmen, der den freien Zugang zu Informationen für alle Menschen gewährleistet.

Dies sind die Anliegen, die uns im Koalitionsvertrag besonders am Herzen lagen:

  1. Bildungsgerechtigkeit durch freie, das heißt nachnutzbare Materialien
  2. Klare Regelung zu amtlichen Werken
  3. Ausdrückliche Festlegung des Grundsatzes “Öffentliches Geld – Öffentliches Gut”

Was davon findet sich im vorliegenden Koalitionsvertrag wieder?

Gute Punkte:

    • Stärkung von OER: Geplant ist die Entwicklung einer umfassenden Open-Educational-Resources-Strategie für Deutschland. Die Vernetzung von Akteurinnen und Akteuren soll mit Kompetenzzentren für Digitalisierung vorangetrieben werden. OER sollen in Verbreitung und Qualität gefördert werden. Hier gibt es viel Potenzial, gerade was die Anpassbarkeit von Lehrinhalten an die sich ständig verändernden gesellschaftlichen Bedingungen angeht.

 

    • Lehrplattformen: Im Vertrag werden hochschulübergreifende, vernetzte Konzepte wie Lehr- und Lernplattformen für die universitäre Lehre skizziert sowie eine nationale Bildungsplattform. Leider entwickeln sich auch im digitalen Raum geschlossene Systeme für Bildungsangebote, die trotz bestehender Infrastrukturen der Bildungsserver und ähnlicher Einrichtungen eine Systemabhängigkeit von einzelnen großen Anbietern herbeiführen können. Wir hoffen insoweit auf die Weitsicht der neuen Regierung, sich hier nicht auf Produkte bestimmter Hersteller festlegen zu lassen. Immerhin ist an dieser Stelle die Förderung offener Schnittstellen vorgesehen.

 

Foto: Hofec, Switzerland (Own work) [CC BY-SA 3.0]

    • Data Science soll als Forschungsschwerpunkt und der Umgang mit Daten besser als eigenes Wissenschaftsfeld etabliert werden.

 

    • Open-Access-Strategie in der Forschung: Offene wissenschaftliche Publikationsmodelle sollen gefördert und die Verwendung freier Lizenzen für Empfängerinnen und Empfänger von Bundesmitteln verpflichtend werden. Das ist Teil unserer Forderung “Öffentliches Geld – Öffentliches Gut” und wir sind sehr froh, dass die Verhandlungsgruppen hier die Vorteile erkannt haben. Freies Wissen ist Innovationsmotor, nicht nur in der Wissenschaft. Der Bundesgesetzgeber sollte generell die Grundlinie festlegen, dass öffentlich finanzierte Inhalte auch frei nutzbar sein müssen.

 

    • Förderung außerschulischer Medien- und Digitalisierungsprojekte für Kinder sind geplant, und diese Projekte sollen sich in einem Wettbewerb beweisen.

 

    • Privacy by Default und Privacy by Design auf Seiten der Anbieter und Kompetenzen auf Seiten der Nutzerinnen und Nutzer sollen gefördert werden. Die Willensbekundung ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch die geplante Daten-Ethikkommission hat das Potenzial, sehr komplexe Fragen rund um Daten beantworten zu helfen. Eine Enquetekommission mit weitreichenden Befugnissen wäre hierbei mächtiger, aber wohl auch weniger effizient gewesen. Wir sind gespannt, was innerhalb des selbst gesteckten Zeitrahmens von einem Jahr erreicht werden kann.

 

    • Open Data: Der von der SPD geforderte Rechtsanspruch auf Open Data taucht nicht im finalen Papier auf. Dennoch wird Open Data an vier Stellen Explizit erwähnt. Auch das ist aus unserer Sicht ein Teil des Grundsatzes “Öffentliches Geld – Öffentliches Gut”. Die mögliche Koalition nennt es jetzt so: “Die Daten der öffentlichen Verwaltung sollen der Bevölkerung grundsätzlich kostenfrei zur Verfügung stehen. Damit kann auch ein wichtiger Beitrag zur Entwicklung innovativer Technologien und neuer Geschäftsmodelle geleistet werden”. Wir begrüßen das sehr, auch wenn betont werden muss: Kostenfrei reicht nicht, um Open Content im Sinne der Open Definition zu schaffen. Auf das geplante “2. Open Data Gesetz” sind wir entsprechend gespannt. Weiter heißt es: “Die mit öffentlichen Mitteln erzeugten Daten müssen kostenlos und in geeigneten Formaten zur Verfügung gestellt werden”, unter Berücksichtigung von Schnittstellen. Hier will man sogar “internationaler Vorreiter werden” – das wäre schön. Wenn tatsächlich “‘Open by Default’ Teil des täglichen Verwaltungshandelns” wird, sind wir in dieser Frage schon ein ganzes Stück weiter.

 

    • Digitales Ehrenamt: Geplant sind ein “Zivilgesellschaftliches Digitalisierungsprogramm” und ein “Freiwilliges Soziales Jahr Digital” sowie digitale Beteiligung in Parteien unabhängig vom Ortsprinzip – alles sehr vielversprechend. An der Seite der größten Netz-Community von Freiwilligen in Deutschland schauen wir mit Neugier auf alles, was da kommt und teilen mit der Politik gerne die vielfältigen Erfahrungen, die onwiki aber auch offline in den lokalen Community-Räumen Tag für Tag gesammelt werden.

 

    • WLAN-Initiativen: Eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunkern wird in Aussicht gestellt. Das ist Teil auch unserer Forderung nach einem digitalen Ehrenamt auf Augenhöhe mit dem klassischen Ehrenamt in Vereinen und Initiativen. Hier fordern wir aber vor allem eine größere Wertschätzung und Anerkennungskultur in Deutschland, während das Koalitionspapier sich leider eher auf Technikfragen beschränkt und von offenen und kostenfreien WLAN-Hotspots an öffentlichen Einrichtungen des Bundes und in der Deutschen Bahn spricht.

 

  • Netzneutralität und diskriminierungsfreier Netzzugang. Wir sehen dies als Grundvoraussetzung für die freie Verbreitung von Informationen und Wissen. Dass der Schutz der Netzneutralität nicht selbstverständlich ist, sehen wir in den USA.

    #NoUploadFilter-Verteilaktion. Foto: Christian Schneider [CC BY-SA 4.0]

  • Upload-Filter werden ausdrücklich als “unverhältnismäßig” abgelehnt, am abgestuften Haftungsprivileg für Seitenbetreiber bzw. Anbieter von Online-Dienstleistungen wird festgehalten. Hintergrund dieser Aussagen im Koalitionspapier ist die Richtlinie für einen digitalen EU-Binnenmarkt, die derzeit beim Europaparlament und beim Rat der EU zur Beratung liegt. Wir freuen uns sehr, dass die Verhandelnden der Koalition in spe es wie wir sehen: Netzweite Filterung sämtlicher Nutzer-Uploads geht zu weit. Die Position der Kreativen gegenüber mächtigen Netzunternehmen zu stärken, ist richtig, aber die Nebeneffekte von Filtern wären zu massiv.Stattdessen sieht das Koalitionspapier vor, das Notice- und Takedown-Verfahren (also die Eingriffsmöglichkeiten bei Rechtsverletzungen im Netz) weiter zu entwickeln und so die Stellung von Rechteinhabern zu verbessern. Konkret wird zudem ein “starkes Urheberrecht zum Schutz des geistigen Eigentums” gefordert, was leider oft die Chiffre für unflexible und damit unzeitgemäße Regelungen ist. Immerhin: “Rahmenbedingungen für kreatives Schaffen, Verwerten und Nutzen” werden als legitimes Interesse erkannt. Gerade die Nennung der Nutzenden an dieser Stelle ist bemerkenswert, da diese Dimension der Debatte sonst oft ausgeblendet wird. Hier werden im Koalitionspapier unterm Strich mehr richtige als falsche Wege eingeschlagen, genauso mit der Modernisierung des Kartellrechts und verbesserter Handlungsfähigkeit für die Wettbewerbsbehörden.

Problematisch:

    • NetzDG: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bleibt. Das Spannungsfeld zwischen Schutz der Meinungsfreiheit und Wahrung der Persönlichkeitsrechte von Opfern wird erkannt, es soll aber nur das NetzDG weiterentwickelt werden. Gerade von zivilgesellschaftlicher Seite wird dagegen nach wie vor eine Rüchnahme des NetzDG gefordert.

      Die Betreiber sozialer Netzwerke befinden sich durch das Gesetz in dem Dilemma, bei drohenden hohen Bußgeldern höchst komplexe Rechtsfragen entscheiden zu müssen. Dies führt unweigerlich zu einem übermäßigen Löschen von Inhalten und damit zu möglichen ungerechtfertigten Verkürzungen der Meinungs- und Informationsfreiheit sowie der Kunst- und Pressefreiheit. Denn bei einer Entscheidung für das Löschen eines zweifelhaften Posts riskiert das Unternehmen kein Bußgeld, das heißt der Gesetzgeber setzt einseitig Anreize hin zu “Im Zweifel für die Löschung”.

 

    • Urheberrechts-Wissenschaftsgesetz: Das im März 2018 in Kraft tretende Gesetz soll evaluiert werden, über seine Verstetigung sei dann zu entscheiden. Mit diesem Gesetz wurde einiges verbessert und vieles übersichtlicher gestaltet (siehe auch Blogbeitrag). Schade nur: Gerade für die Wissenschaft, Bildung und Kulturinstitutionen wichtigsten Teile des Gesetzes sind von vornherein bis 2023 befristet. Ob das Gesetz aber in dieser Form weiter bestehen bleibt? Die schwachen Formulierungen im Koalitionsvertrag sorgen nicht für die nachhaltige Rechtssicherheit, die sich die Praktikerinnen und Praktiker  wünschen und die sie verlangen können.

 

    • Presseverleger-Leistungsschutzrecht auch in Europa. Hier positioniert sich das Koalitionspapier dahingehend, dass das vor einigen Jahren in Deutschland eingeführte Sonderschutzrecht für Presseverleger, das seither vor allem für Rechtsunsicherheit bei der Verlinkung von Presse-Quellen sorgt und von vielen als nicht funktionierend angesehen wird, auch EU-weit einzuführen ist. Warum ein solcher gesetzgeberischer Fehlschuss europaweit wiederholt werden sollte, ist nicht ersichtlich.

 

    • Eigentum an Daten” hat es in den Koalitionsvertrag geschafft – wir hatten sehr gehofft, dass es ganz draußen bleibt (siehe dazu Pressemitteilung). Wir finden den Ansatz eines alternativen Zuordnungssystems neben der bereits bestehenden, grundgesetzlich fundierten informationellen Selbstbestimmung gefährlich, weil sie dadurch geschwächt wird. Das passt auch nicht dazu, dass wir gerade erst eine grundlegende Stärkung des Datenschutzes auf EU-Ebene erleben, nämlich die bald in Kraft tretende Datenschutz-Grundverordnung der EU. Immerhin sieht der Koalitionsvertrag einen Prüfauftrag zu diesem problematischen Eigentumsbegriff vor: Auch das Ob eines “Dateneigentums” solle zügig geprüft werden, heißt es. Es bleibt also ein Ausweg offen.

 

    • “Datensouveränität” – noch ein Wort, das wir in der Debatte ungern sehen, kommt im Koalitionspapier vor. Auch hier wird der Datenschutz zur Seite geschoben, diesmal allerdings als Begriff. Das ist jedoch häufig nur Vorbereitung einer Änderung auch der eigentlichen Regeln. Insofern sollten alle an Datenschutz Interessierten wachsam sein, ob mit unter dem Begriff “Datensouveränität” nicht doch eher ein Datenschutz Light daherkommt.

 

Hier ist eine Übersicht der inhaltlichen Positionen von Wikimedia Deutschland e.V. zu verschiedenen vereinsrelevanten Themen und politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen zu finden.

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