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Zwischen Steinmännchen und Wikipedia – Der 11. Wikimedia-Salon zum Thema “K=Kollaboration”

Christopher Schwarzkopf

15. Oktober 2015

Bei der 11. Veranstaltung aus der Reihe Das ABC des Freien Wissens, die am 08. Oktober in der Geschäftsstelle von Wikimedia Deutschland in Berlin stattfand, ging es um den Begriff der Kollaboration und darum, welche Art der Zusammenarbeit in der vernetzten Welt gebraucht wird, um Allgemeingüter zu schaffen. In der Diskussion zeigte sich, dass der Begriff der Kollaboration an sich umstritten ist, und verschieden interpretiert werden kann. Zu Gast: Der Migrationsforscher, Autor und Journalist Dr. Mark Terkessidis, die freie Wissenschaftlerin Dr. Phil. Friederike Habermann sowie Christoph Kappes, Berater und Netztheoretiker. Der Publizist und Soziologe Dr. Volker Grassmuck hat einen Video-Einspieler zur Diskussion produziert.

Der inzwischen elfte Wikimedia-Salon aus der Reihe “Das ABC des Freien Wissens” stand dieses Mal unter dem Buchstaben K. Was lag da näher, als eines der Grundprinzipien der Wikimedia-Projekte zum Thema zu machen: Kollaboration. Dabei ging es um die Frage, welches Potenzial kollaborative Prozesse für die Wissensproduktion im Netz haben und wie diese ausgestaltet sein müssen, um die Entstehung von Allgemeingütern und Freiem Wissen zu begünstigen. Zunächst einmal stellte sich jedoch heraus, dass der Begriff der Kollaboration an sich durchaus unterschiedlich definiert und bewertet wird.

Beim elften Wikimedia-Salon diskutierten: Dr. Mark Tekessidis, Dr. Friederike Habermann & Christoph Kappes (v.l.n.r.), Bild von Christopher Schwarzkopf, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

Kollaboration ≠ Kollaboration

Wie Mark Tekessidis in seinem einführenden Vortrag verdeutlichte, weist der Begriff der Kollaboration eine gewisse Ambivalenz auf. Während er nämlich in Kontinentaleuropa aufgrund seiner Assoziation mit den Menschen die zur Zeit des Nationalsozialismus mit den deutschen Besatzern zusammenarbeiteten, historisch bedingt eine pejorative Bedeutung aufweise, sei der englische Begriff collaboration, der in den letzten Jahren eine immer stärkere Verwendung auch hierzulande findet, eher neutral konnotiert und beziehe sich auf die Form der Zusammenarbeit verschiedener Akteure.

Diese Bedeutungskonkurrenz des Begriffes ließe sich jedoch auflösen, da beide Bedeutungen in unserer Gesellschaft gleichermaßen relevant seien. So seien wir mit systembedingten Defiziten, beispielsweise bürokratischen Hürden, konfrontiert, die uns unzufrieden machen, an denen wir jedoch nichts ändern könnten, sodass wir uns damit arrangieren. Dies mache uns gewissermaßen zu Kollaborateuren im negativen Sinne. Gleichzeitig könnte Kollaboration im positiven Sinne der Zusammenarbeit ein Gegenmittel zu dieser Unzufriedenheit sein und demokratiefördernd wirken. Denn: Überall dort, wo sich der Staat im Zuge des Neoliberalismus zurückgezogen habe, entstehe eine Lücke, die immer mehr Formen der Selbstorganisation entstehen lasse, in denen Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten zusammenarbeiten, beispielsweise wenn Eltern sich zusammenschließen, um marode Schulen selbstständig zu renovieren wenn die Kommunen diese Aufgabe nicht übernehmen können oder wollen.

Christoph Kappes gab zu bedenken, man könne zwar über Begrifflichkeiten streiten, dies helfe jedoch nur bedingt weiter. Wenn man die Wortbedeuutung des Begriffes der Kollaboration betrachte, besage dieser im Grunde genommen nur, dass gleichgeordnete Menschen ein gemeinsames Ziel verfolgen. Die zunehmende Komplexität unserer Gesellschaft und ihrer Prozesse sowie die Verschiebung von Hierarchie- zu Netzstrukturen lassen diese Form der Zusammenarbeit zunehmen und zwar nicht nur in der Open-Source-Bewegung und bei der Erstellung von Allgemeingütern, sondern auch im kommerziellen Bereich (der im Übrigen ohnehin häufig Tendenzen aus der Open-Bewegung kopiere).

Kollaboration sollte allerdings nicht automatisch mit Basisdemokratie gleichgesetzt werden, warf Tekessidis ein. Während nämlich Letztere zentral darauf beruhe, Entscheidungen im Konsens zu treffen, gehe es bei Kollaboration eher darum, ein Verfahren zu entwickeln, in dem möglichst viele Menschen ihre spezifischen Fähigkeiten und unterschiedlichen Wissensstände in einem Prozess einbringen. Am Ende kollaborativer Prozesse stehe immer ein Ergebnis, ob dieses auf allgemeinem Konsens beruhe sei dabei zweitrangig.

Kollaboration braucht ein gemeinsames Ziel. Und Regeln.

Was aber sind denn nun die zentralen Voraussetzungen für erfolgreiche Kollaboration? Wie kann diese funktionieren? Neben der intrinsischen Motivation brauche es als wichtigste Erfolgsvoraussetzung ein gemeinsames Ziel und eine grobe Idee aller Beteiligten, in welche Richtung sich das Ganze entwickeln sollte, betonte Christoph Kappes, erst dadurch werde soziale Interaktion ermöglicht. Die konkrete Ausgestaltung des Prozesses der Zusammenarbeit entwickele sich dabei erst im eigentlichen Tun. Auch Friederike Habermann unterstrich, dass sich die Gruppen in kollaborativen Prozessen fließend organisieren und miteinander in einen offenen Prozess treten, in der sie die Art der Zusammenarbeit miteinander ausgestalten.

Das Steinmännchen – Weniger komplex als Wikipedia aber ebenfalls ein Ergebnis kollaborativer Zusammenarbeit, Bild von Holger.Ellgaard, CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Dies funktioniere allerdings nicht ohne eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung und Respekts sowie soziale Regeln und eine dadurch zumindest minimale prozessuale Steuerung, hier waren sich die Diskutierenden einig. Der Grad der Regulierung kollaborativer Prozesse sei dabei immer abhängig von der Komplexität der jeweiligen Strukturen, in denen diese stattfinden. Kappes führte hier das Beispiel des Steinmännchens an, wo die sozialen Regeln sehr lose seien während ein komplexes kollaboratives Projekt wie Wikipedia mit einer Vielzahl von Beteiligten, ein sehr klares und umfassendes Regelwerk aufweist. Auch Terkessidis betonte, dass Kollaboration nicht auf dem Gedanken beruhe, Autorität und Regeln wegdefinieren zu wollen, sondern eher, diese möglichst kollaborativ zu begründen. Ebenso, fügte Friederike Habermann hinzu, sei es wichtig, andere nicht auszuschließen indem man das, was man selbst im Laufe des kollaborativen Prozesses erschafft, als Eigentum begreift.

Allerdings, auch hier herrschte Konsens bei den Gästen: Kollaboration kann auch nerven und die gemeinsame Arbeit erschweren, etwa wenn Trolle auftauchen, was kaum zu vermeiden sei, und es dadurch keinen konstruktiven Umgang mit Problemen und Diskussionen mehr gebe.


Die Veranstaltung in voller Länge kann hier angeschaut werden:

Diese Veranstaltung fand in Kooperation mit der Berliner Gazette-Konferenz UN|COMMONS statt.

 

Kommentare

  1. Gegen “Kollaboration” « vgrass.de
    21. Oktober 2015 um 01:20 Uhr

    […] Konfusion setzt sich bis in den Nachbericht im Wikimedia-Blog fort. Da heißt es erst richtig: “In der Diskussion zeigte sich, dass der Begriff der […]

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