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Harmonisierung im Wilden Westen – Ein Gastbeitrag von Dimitar Dimitrov

Lilli Iliev

8. Juli 2015

Die Veranstaltung der Reihe Das ABC des Freien Wissens am 8. Mai 2015 drehte sich um den Verhandlungsprozess für ein neues Urheberrecht auf europäischer Ebene (siehe Video).

Aktuell ist das Thema Panoramafreiheit nicht nur auf der politischen Agenda nach oben gerückt, sondern auch in den Fokus des öffentlichen Interesses geraten. Tausende Wikipedianerinnen und Wikipedianer haben in einem Offenen Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments zur Erhaltung der Panoramafreiheit ihren Protest gegen eine womöglich drohende Abschaffung der Panoramafreiheit in einigen Mitgliedstaaten der EU ausgedrückt (Siehe auch Wikipedia:Initiative für Panoramafreiheit). Am 9.7. 2015 stimmt das Europäische Parlament über die Zukunft der Panoramafreiheit in Europa ab.

Dimitar Dimitrov ist seit 2013 lokaler Ansprechpartner für die Wikimedia-Aktivitäten in Brüssel. Dort arbeitet er gemeinsam mit anderen Vertretern der Wikimedia Chapter daran, den politischen Entscheidern Wege zu einem zeitgemäßen Urheberrecht aufzuzeigen. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen vor Ort.


Freie Fahrt für ein moderneres Urheberrecht? Dimitar Dimitrov. By Dimi z [CC BY-SA 3.0]

Ein Gastbeitrag von Dimitar Dimitrov, Free Knowledge Advocacy Group EU

Um einen Beitrag über die sich gerade in den Startlöchern befindend europäische Urheberrechtsreform zu schreiben, musste ich mir länger überlegen, ob hierbei Anspielungen auf Kafka oder auf Westernfilme treffender sind. Ich habe mich letzten Endes für die Western entschieden, und zwar mit Vorliebe für das Spaghetti-Sub-Genre. Zu ernst wollen wir uns nicht nehmen, und an ein an Happy End sollten wir allemal glauben.

Once Upon a Time in the West

Nach 1993 und 2001 gibt es nun den dritten ernsthaften Versuch, in Brüssel EU-Urheberrechtspolitik zu machen. Anfang der Neunziger sollte die Schutzdauer harmonisiert werden. Ein Prozess, der trotz einer zusätzlichen Direktive mit derselben Absicht anno 2015 immer noch nicht vollzogen ist.

Kurz nach der Jahrtausendwende wurde dann die heute gültige Richtlinie angenommen. Ihr Ziel war es, die Regeln in Europa wenn schon nicht zu vereinheitlichen, dann aber doch miteinander vereinbar zu machen. Das Resultat kann heute in Lobbying-Handbüchern als Textbuchbeispiel für eine effektive Lobbying-Kampagne herhalten. Die nationalen Kulturindustrievertreter siegten auf ganzer Linie. Harmonisiert wurde eine einzige Ausnahme. Es wurden technisch notwendige, vorübergehende Vervielfältigungshandlungen gewährt. Sprich Arbeitsspeicher und Proxyserver. Alle anderen zu dem Zeitpunkt in Europa existierenden Schranken wurden in einer unverbindlichen Liste zusammengefasst, um es den Mitgliedstaaten zu überlassen, ihre nationalen Regelwerke nicht zu verändern. Das Resultat ist ein Flickenteppich an Regeln in einem gemeinsamen Markt und einem gemeinsamen Netz. Jedes Katzenbild ist irgendwo, irgendwie illegal.

The Treasure of the Sierra Madre

By Trailer screenshot (The Treasure of the Sierra Madre trailer) [Public domain]

Tatsache ist, dass Europa heute Geld verliert. Gäbe es das schwedische Spotify nicht, hätte die EU heute keine einzige globale Internetplattform. Die freundlichen Skandinavier haben trotz Erfolg auf den Investionsmärkten sechs Jahre gebraucht, um die Rechte für etwas so nicht-lokaliserbares wie Musik EU-weit zu klären. Aus EU-Bürokraten-Sicht sieht das wie folgt aus: Das digitale Europe spielt weltweit nicht in der ersten Liga. Der Einheitsmarkt führt zu mehr Wettbewerb und mehr Effektivität. Europäische Kooperation bringt starke, globale Wirtschaftsunternehmen hervor. Das Konzept hat sich bewährt. Heureka! Wir brauchen einen digitalen Binnenmarkt! Nationale Urheberrechtssilos, um in der von der neuen Europäischen Kommission benutzten Terminologie zu bleiben, sind da natürlich hinderlich.

For a Fistful of Dollars

Die lokalen europäischen Unternehmen verlieren immer mehr Einnahmen ans Silicon Valley, an seine Geräte und seine Plattformen. Das macht den europäischen Verlegern natürlich noch viel mehr Angst als der Europäischen Kommission. Doch die Reaktion ist erstaunlich: Statt einen Schritt nach vorne zu machen, zieht man sich lieber in die nationale Ecke zurück. Das Kernproblem: Mit Kunst wird an zwei Stellen Geld verdient – zum einen durch die Rechte am Werk selbst inform von Künstlereinnahmen und zum anderen durch dessen Verbreitung. Doch die Verbreitung heißt heutzutage Dienstleistung und findet (aus EU-Sicht) auf  US-Plattformen statt. Kleinere, nationale Nischenmärkte überleben den Ansturm von Amazon, iTunes und Netflix. Aus einem solchen Blickwinkel betrachtet wäre eine Harmonisierung des europäischen Urheberrechts der Verlust der letzten schützenden Hürde, die das Silicon Valley davon abhält, alle vom Markt zu drängen. Europas Mangel an Innovation ist zum Teil auch Ausdruck einer vor Angst erstarrten Industrie, die sich verbissen hinter altgedienten Verwertungsmustern verbarrikadiert.

The Magnificent Seven

By movie studio (eBay) [Public domain], via Wikimedia Commons

Politikfeldanalysen sind immer unvollständig, wenn auf EU-Ebene globale Sachverhalte geregelt werden sollen. Zu komplex das Umfeld, zu vielschichtig die Probleme, zu wechselnd die Koalitionen. Sieben Gruppen möchte ich aber doch ausmachen, um zumindest im Ansatz die Arena beschrieben zu haben.

Magnificent Three

Die drei EU-Institutionen sind hier natürlich die Entscheidungsträger. Für die Europäische Kommission, als Hüterin der Verträge und als Motor der Union, ist der Harmonisierungswunsch ein fest verdrahtetes Programm. Doch das gilt im vollen Ausmaß lediglich für die festangestellten Bürokraten. Was die Kommissare angeht, so sind diese so unterschiedlich wie die nationalen Regierungen. Vom überzeugten Pro-Europäer bis zu eher skeptischen Subsidiaritätsprinzipvertretern lässt sich alles finden. Auffällig ist, dass die Kommissare nicht in den für sie zuständigen Generaldirektionen sitzen, sondern allein unter sich im Berlaymont. Das macht die jeweiligen Chef-Bürokraten, also die Generalsekretäre, natürlich umso bedeutender. Urheberrechtlich zu erwarten ist ein Vorschlag, der eine, wenn auch nur teilweise, echte Harmonisierung vorschlägt.

Das Europäische Parlament ist ein Standbild der 28 Gefühlslagen und Emotionen der jeweiligen Bevölkerungen am Tag der Wahl. Dadurch, dass es weniger ernst genommen wird, sind Menschen bei Europawahlen experimentierfreudiger, was zu einer sehr bunten Volksvertretung führt. Dadurch, dass hier keine Mehrheit über Jahre gehalten werden muss, um der Regierung ihr Amt zu garantieren, ist die Bereitschaft, mit anderen Gruppen zu sprechen, für Brüsseller Neulinge stets eine Überraschung. Das Europäische Parlament hat noch eine zweite Eigenheit: Es darf viele Sachen nicht, die andere Parlamente dürfen. So darf es z. B. keine Gesetze selbst vorschlagen. Das kann zwar dazu führen, dass alles, was auf dem Tisch landet, automatisch überreguliert wird. Es ist ja nicht absehbar, ob die Chance sich wieder ergibt. Andererseits führt das auch dazu, dass die Mitglieder des Parlaments allein schon deswegen einen breiten, für alle akzeptablen Kompromiss suchen, damit sie ihre Institution als starken Gegenpart zur Kommission und zum Rat aufbauen. Urheberrechtlich zu erwarten ist, dass vieles der Kommission abgeschwächt wird, anderes auch wieder gestärkt. Der Kompromissreflex und der Wunsch nach einer starken Position wird in Mindeststandarts resultieren.

Beim Europäischen Rat handelt es sich um 28 Positionen der jeweiligen Mitgliedstaaten. Es ist die unvorhersehbarste – irgendwo ist immer vor oder nach der Wahl – und undurchsichtigste Institution. Gleichzeitig hat sie aber genau die gleichen Rechte wie das Parlament. Unsere Regierung, die national also die Exekutive stellt, spielt bei der EU-Gesetzgebung die Legislative. Montesquieu kommt einem in den Sinn. Urheberrechtlich zu erwarten ist, dass der Vorschlag vom Europäischen Parlament entweder weiter abgeschwächt oder gleich blockiert wird. Lange Gespräche und Aufschiebungen wären keine Überraschung.

Cowboys & Aliens

Um Autoren und Künstler, also um Urheber, soll es bei der Reform vorrangig gehen. Doch sind diese kaum direkt Vertreten. Rechteverwertungsgesellschaften, Verlage und Filmstudios, kleinere Künstervereinigungen, Rundfunkgesellschaften und Online-Plattformen – alle wollen sie die Künstler vertreten. Die Nase vorn haben dabei immer noch die Verwertungsgesellschaften, sodass die Künsterstimme meist als “bitte nichts Verändern, wir brauchen mehr Rechtsdurchsetzung” wahrgenommen wird. Abweichende Botschaften werden als Einzelgänger abgestempelt. Zu den “kopierenden Industrien” zählen Verwertungsgesellschaften, Filmstudios, Musik- und klassische Verlage. Sie nennen sich selbst “creative industries”, gründen ihre Geschäftsmodelle auf Kopien und Vertrieb und  wollen von Reform nichts wissen. Dabei sind sie durchaus bereit – privat und nach dem dritten Bier – anzuerkennen, dass viele Teile der Reform ihnen nichts anhaben würden. Doch das Risiko, Pandorras Büchse aufzumachen, wird als zu groß eingeschätzt.

Internet-Akteure sind ein komischer Mix, der keine einheitliche Gruppe darstellt und trotzdem oft als ein gemeinsamer und ähnlich denkender Block – the digital people – betrachtet wird. Dabei kommen hier Internetgiganten genauso rein wie Piraten, kommerzielle Musikplatformen genauso wie ehrenamtliche Projekte, Blogger genauso wie Taxidienstleistungs-Apps. Der einigende Nenner? All diese sind recht jung, haben keine Angst vor Veränderung und betrachten das Kopieren von Information sowie nationale Regeln weder als Lebensgrundlage noch als Eckpfeiler europäischer Kultur. Im besonderen sollen hier unbedingt die öffentlichen Kultureinrichtungen genannt werden. Museen, Archive, Büchereien. Alles, was der Wikimedianer in den Begriff GLAM reinpacken würde und noch eine Prise mehr. Diese wollen auch modern sein, sie wollen die Reform, denn sie wollen nicht als Staubfänger enden. Das Besondere? Sie sind nicht neu, also verfehlen sie die ganzen Angriffe auf Internet-Akteure. Sie sind auch in der Regel vom öffentlichen Sektor gegründet und werden von der öffentlichen Hand bezahlt, was ihnen Gehör verschafft. Wenn sie ihre Karten richtig ausspielen, ist das die Gruppe mit den besten Chancen, ihre, wenn auch sehr begrenzten, Forderungen durchzubekommen.

The Good, the Bad and the Ugly

By MGM (mymovies.it) [Public domain], via Wikimedia Commons

Es ist mittlerweile eine Brüsseler Tradition (auch hier), good/bad/ugly-Listen zu erstellen. Zwar liegt die Reform noch in den Startlöchern, doch einige Konturen sind bereits erkennbar:

Good: Die urheberrechtlich Schutzfristen wurden seit 1790 konsequent immer nur verlängert. Zum ersten mal seit den Anfängen der Urheberrechtsgeschichte fängt eine ernsthaft gemeinte Reform mit einer Übereinkunft aller Seiten an, dass die Schutzfristen diesmal nicht verlängert werden sollen. Klingt nach wenig, ist aber ein historischer Narrativwechsel.

Bad: Die Idee, dass, wenn man schon etwas erlaubt, es unbedingt auf nichtkommerzielle Nutzungen beschränkt werden sollte, wurde von den Rechteverwerten dem europäischen Gesetzesgeber als konditionierter Reflex antrainiert. Die Tatsache, dass “nichtkommerziell” einer dieser Begriffe ist, die keiner genau definieren kann, spielt ihnen sogar in die Karten. Es wird immer das hineingelesen, was als wünschenswert empfunden wird.

Ugly: Da sprechen wir mal in 14 Jahren – nachdem Facebook, YouTube, Kindle und Wikipedia unser Kulturleben und Schaffen durch und durch auf den Kopf gestellt haben – endlich mal über eine Anpassung der Regeln, und was passiert? Die ersten großen Debatten drehen sich um Rechtsdurchsetzung. Ein Versuch, das Gespräch darüber, welche Regeln durchgesetzt werden sollen, zu übergehen. Nennt sich in Profikreisen “Red Herring” oder zu gut Deutsch Ablenkungsmanöver.

Back to the Future (Part III)

Ja, doch. Es ist ein guter Western. Was kommen wird? Kann keiner absehen. Meine Vorhersage ist, dass 3-4 Schranken des Urheberrechts harmonisiert werden. Und wenn wir vieles richtig machen, vielleicht sogar in die richtige Richtung. Und wenn sogar etwas noch mutigeres geschehen soll, dann werden einige andere Ausnahmen mit Mindeststandards versehen. In der Hoffnung, dass das ein Schritt ist, der in nochmal 15 Jahren den Weg für die echte Harmonisierung und Novellierung ebnet. Tja, das ist Europa, nicht besonders ambitioniert, aber stets zu Kompromissen bereit.

Mehr zu Wikimedia-Aktivitäten auf EU-Ebene auf der Webseite der Free Knowledge Advocacy Group EU

  • <3 Dimi!

    Kommentar von Rui Miruel am 8. Juli 2015 um 22:14

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