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MdEPs adoptieren, Vorschläge artikulieren: Die Zeichen stehen auf EU-Urheberrechtsreform

WMDE allgemein

7. Juli 2014

Dimitar Dimitrov ist seit Juli 2013 lokaler Ansprechpartner für die Wikimedia-Aktivitäten in Brüssel. Im Vereinsblog berichtet er in loser Folge von seinen Erfahrungen vor Ort.

Logo: Dimi z, Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

Brüssel ähnelt seit der Europawahl einem riesigen Umsteigebahnhof. Neuankömmlinge hetzen zum Ausgang, Passagiere suchen nach ihrem Anschlusszug, routinierte Vielfahrer suchen zielsicher ihre Plätze in der ersten Klasse. Nur sind es hier keine Pendler, sondern Volksvertreter aus 28 Ländern, die ein funktionierendes Parlament bilden müssen – trotz ihrer riesigen Vielfalt und enormen inhaltlichen Dissonanzen.

Nachdem die Gruppenstärke der politischen Familien nach vielen Hinterzimmergesprächen, Lockangeboten und Kompromissen klar geworden ist, wurden nun auch die Ausschüsse aufgeteilt. Ein wichtiges Merkmal des neuen Parlaments werden die neuen Mehrheitskoalitionen sein. Waren in der letzten Legislaturperiode Mehrheiten mit Sozialdemokraten, Grünen und Linken oder auf der anderen Seite mit Liberalen und Christdemokraten möglich, so müsste es nun – aufgrund der zahlenmäßig erstarkten nationalistischen und euroskeptischen Gruppen – entweder eine Große oder eine Viererkoalition (z.B.: aus Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen und Linken) sein. Dies verlängert Entscheidungswege und macht die Kompromissfindung noch komplexer.

À la bonne heure: Urheberrecht ist Nummer 1

Unser Blick lenkt sich auf die künftige Zusammenstellung der Kommission, die im Herbst ihre Arbeit aufnimmt und das alleinige Initiativrecht für Gesetzesvorhaben innehat. Ihr designierter Chef Jean-Claude Juncker hat soeben seine Prioritätenliste veröffentlicht. Auf Punkt 1 steht ein einheitlicheres Urheberrecht. Zwar wurde in Brüssel allgemein erwartet, dass Urheberrecht eine der großen Reformanstrengungen der kommenden Kommission sein wird. Dass es aber gleich an der Spitze des Wunschkatalogs des Präsidenten landet, ist gleichwohl überraschend und lässt wieder Hoffnung wachsen, nachdem in letzter Zeit wieder mal eher bescheidene Signale zum Thema geleakt wurden.

Achtung: Die Neuen kommen!

Die erste große Aufgabe eines neugewählten Europäischen Parlaments ist es, thematische Ausschüsse zu formen und zu besetzen. Dessen Anzahl und Arbeitsgebiete bleiben in der neuen Legislaturperiode im Gegensatz zu nationalen Parlamenten erstaunlich konstant. Diese Woche finden konstituierende Sitzungen statt und Vorsitzende werden gewählt. Die relevantesten Ausschüsse für uns als Gruppe, die sich einer Urheberrechtsreform verschrieben hat, sind “Binnenmarkt und Verbraucherschutz” (IMCO) und der Rechtsausschuss (JURI).

Anhörungen: Endlich ein Medienspektakel

Zur zweiten großen Aufgabe des europäischen Parlaments gehört es, die neue Kommission zu bestätigen. Nach dem Präsidenten der Kommission müssen nochmals alle vorgeschlagenen Kommissare befragt und bestätigt werden. Dies geschieht im September bzw. Oktober und ist ein – für Brüsseler Parlamentsstandards – sehr medienwirksamer Prozess. Solche Anhörungen beinhalten wichtige Absichtserklärungen der neuen Ressortchefs und eignen sich hervorragend dazu, die Prioritäten und die Ausrichtung der nächsten fünf Jahre abzuklopfen und sogar mitzugestalten. Kontakte zu den Mitgliedern der JURI– und IMCO– Ausschüsse geben zu diesem Zeitpunkt die Gelegenheit, für uns relevante Fragen in diese Anhörungen einzubringen.

Die Kommission steht von allen Seiten unter dem Druck, durch Informationstechnologien enstandene Schieflagen im Urheberrecht zu begradigen. “Die Schäden, die das Internet dem Urheberrecht zuführt, müssen zumindest wirtschaftlich ausgeglichen werden.” – So lässt sich in etwa die gängige Meinung der Film- und Verlagswirtschaft resümieren. Auf der anderen Seite befinden sich eher nutzerorientierte Akteure, die darauf pochen, dass die systematischen Probleme, die das geltende Urheberrecht im Internet mit sich bringt, gelöst werden müssen. Und zwar durch eine Lockerung und Flexibilisierung, nicht durch striktere Regeln und härtere Durchsetzung.

Wikimedia will mitwieseln! Wer macht mit?

Die Free Knowledge Advocacy Group EU gehört zu jenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die der Kommission ihre Wünsche und Bedenken zu Gehör bringen möchten. Ziel unseres aus 11 europäischen Wikimedia-Chaptern und thematischen Organisationen bestehenden Netzwerks ist es, durch gezieltes Monitoring von Entscheidungsprozessen, der Veröffentlichung von Stellungnahmen und der Präsenz bei Hearings und wichtigen Veranstaltungen unsere urheberrechtspolitischen Anliegen auf die Tagesordnung der Entscheidungsträger auf EU-Ebene zu bringen.

Um unsere Anliegen auf die Tagesordnung zu setzen, dürfen wir nicht nur zentral arbeiten. Wir müssen unser gesamtes Netzwerk bemühen, um Beziehungen zu entscheidenden Akteuren zu stiften und zu pflegen. Ein erster Schritt wird dabei sein, mit den Mitgliedern der wichtigen Ausschüsse für Binnenmarkt und Verbraucherschutz sowie Recht in Kontakt zu treten, ihnen zur Nominierung zu gratulieren und sie über unsere Probleme und Wünsche zu informieren. Diese Charme-Offensive sollte am allerbesten von vielen Wikimedianern getragen werden, die von mir aus Brüssel mit den nötigen Informationen und Argumenten versorgt werden. Wer macht mit? Werde ein WEASEL! Wikimedia European Action System for Enthusiastic Lobbying. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, sich zu beteiligen – z.B. an der Strategieplanung bei Meetings, beim Projekt “Adopt a MEP” oder als Ideengeber für Initiativen. Wer über die uns betreffenden Vorgänge in Brüssel ständig informiert sein möchte, findet auf Meta ein Archiv der monatlichen Monitoring-Reports, das fortlaufend aktualisiert wird.

Kommentare

  1. Dimitar Dimitrov
    7. Juli 2014 um 22:45 Uhr

    D’accord! Aber zumindestens eine Verschärfung soll es nie wieder geben. Und das können wir am allberbesten absichern indem wir lautstark eine Verbesserung fordern.

  2. Marcus Cyron
    7. Juli 2014 um 20:33 Uhr

    Ich wäre vorsichtig mit zu viel Optimismus. Bislang waren Änderungen ja fast immer eine Verschärfung des Status quo. Und die Leute die das wollen, haben sicher auch ihre Lobbyisten in Brüssel.

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