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Wikisource: ein Projekt wird 30.000

WMDE allgemein

4. April 2014

Das Wikisource-Logo

Wikisource ist eines der Projekte der Wikimedia Foundation und damit eines der Schwesterprojekte der Wikipedia. Wikisource ist eine Sammlung von Quellentexten, die entweder urheberrechtsfrei sind oder unter einer freien Lizenz stehen. Das deutschsprachigen Wikisource hat vor kurzem die Schwelle von 30.000 gesammelten Quellentexten überwunden.

Der Wikisource-Aktive Konrad Stein hat anlässlich dieses Meilensteines eines Artikel im Wikipedia-Kurier, dem internen Mitteilungsblatt der deutschsprachigen Wikipedia geschrieben. Wir freuen uns, diesen Text leicht redaktionell angepasst, hier veröffentlichen zu können.

Das Logo ist Programm: Ein Eisberg, man sieht die Spitze, „doch das im Schatten sieht man nicht“ (jedenfalls nicht gleich). Die Rede ist von Wikisource. Was ist Wikisource? Wenn Wikipedia das Lexikon der Welt ist, so ist Wikisource die Bibliothek der Welt (und de.wikisource.org die Bibliothek der deutschsprachigen Welt). Hier geht es nicht um schnelle, verlässliche Informationen über ein Wissensgebiet, hier geht es um sichere, verlässliche Texte zu diesem Wissensgebiet! Verlässlichkeit und Relevanz sind die Leitplanken von Wikisource.

Um ein Beispiel zu geben: Grimms Märchen. Wikisource gibt nicht einfach nur den Text von Grimms Märchen, sondern gibt alle Kinder- und Hausmärchen in allen Fassungen aller Auflagen von der ersten 1. Auflage 1812/15 bis zur 7. Auflage 1857 (Lebenszeit der Grimms). Hier kann jeder einsteigen: der Märchenliebhaber, dem die Erinnerung verblasst, bis zum Forschenden, der es auf Punkt und Komma genau braucht.

Apropos Verlässlichkeit: Bei Wikisource wird bis auf Punkt und Komma genau wiedergegeben, was die großen (und kleineren) Geister der Weltgeschichte über die Welt und ihre Geschichte gedacht – und vor allem: geschrieben – haben. Um das klar zu sagen: Jeder kann den Ursprung und das Ergebnis miteinander vergleichen. Rechts ist das Original zu sehen, links die Übertragung. Und wer einen Fehler findet: her damit! Im Unterschied zu den akademischen Druckwerken, verbessert sich WS täglich, stündlich…

Was ist bei Wikisource zu finden?

Was ist bei Wikisource zu finden? Alles! Oder jedenfalls: fast alles Mögliche. Bei Wikisource arbeiten Spezialisten aus allen möglichen Bereichen des Wissens aller Zeiten. Das klingt anmaßend, gewiß. Aber geben wir Beispiele.

* Gesetzblätter: Neben der Edition des Reichsgesetzblattes weist Wikisource frühneuzeitliche und moderne Gesetzes- und Amtsblätter dutzender deutscher und europäischer Staaten nach. Die Urkunden des Mittelalters und der Frühen Neuzeit bieten ältere Rechtsquellen.

* Mathematik. Hier erstreckt sich die Vielfalt von geometrischen Lehrbüchern, geschrieben von Albrecht Dürer, bis hin zu der Milleniumsrede von Hilbert’s, die erst seit Kurzem gemeinfrei ist. Durch akkuraten Formelsatz können auch komplexe Klassiker wie Riemann’s Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen Größe originalgetreu gelesen werden.

* Physik und Chemie. Das Feld der Naturwissenschaften können wir natürlich nicht komplett abdecken, aber wir versuchen es trotzdem! Sowohl Periodika, wie die Annalen der Physik, als auch sehr spezielle Abhandlungen sind hier zu finden. Da wäre zum Beispiel der Aufsatz Flüssige Kristalle und ihr scheinbares Leben, der schon 1921 die heute so wichtigen Flüssigkristalle beschreibt. Aber auch das sehr gut zusammengestellte Themengebiet Relativitätstheorie ist den einen oder andern Blick wert.

* Klassische Philologie. Wikisource bietet Übersichtsseiten zu zahlreichen antiken Autoren, deren Werk mit Hinweisen auf (kritische) Textausgaben und Übersetzungen sowie auf wichtige (gemeinfreie) Sekundärliteratur vorgestellt wird. Beispiele für besonders detaillierte Autorenseiten sind die zu den Dichtern Apollonios von Rhodos, Claudian, Flavius Josephus, Seneca und Hesiod. Wikisource bietet auch Digitalisate von ausgewählten antiken literarischen Werken an: zum Beispiel Euripides’ Tragödien ”Iphigenie in Aulis” und ”Die Phönizierinnen” (übersetzt von Friedrich Schiller); Aristophanes’ Komödie ”Die Wolken” (übersetzt von Johann Jakob Christian Donner); ausgewählte Werke des jüdischen Gelehrten Philon und sämtliche Werke des Sophisten Lukian von Samosata (übersetzt von August Friedrich Pauly). Apropos Pauly: Auf ihn geht das wichtigste Nachschlagewerk der Altertumswissenschaft zurück (”Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft”), dessen Neubearbeitung (Stuttgart 1893ff.) sukzessive erschlossen wird. Wikisource bietet derzeit über 13.000 Artikel im Volltext (mit Scans) und pflegt ein Autorenverzeichnis.

Literatur, Religion und Geschichtswissenschaft

* Literatur: Die Liebhaber klassischer Belletristik finden viel Lesefutter, von spätmittelalterlichen Satiren (Doctor Brants Narrenschiff) über Shakespeare’s Dramen (Romeo und Julia) und klassische Kinderbücher (Struwwelpeter) bis hin zur Göttlichen Komödie. Eine eigene Seite weist die hier edierten Erstausgaben nach.

* Sagen und Märchen bilden mit der Erzählforschung einen weiteren Arbeitsschwerpunkt. Die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm gibt es in allen sieben Auflagen zu lesen, eine umfangreiche Themenseite weist Sagensammlungen nach.

* Religion: Was schrieb Luther eigentlich in seinen 95 Thesen? Was hat der Talmud mit Mathematik zu tun? Und welcher Frieden beendete die Ära der Religionskriege in Europa? Themenseiten zu Gebeten, Gesangbüchern oder dem Buddhismus runden das Angebot ab.

* Die Geschichtswissenschaft findet Editionen wie die Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit oder die Acta Borussica, wenig bekannte (Britisch-Amerikanischer Krieg) und berühmte Ereignisse (Wiener Kongress) mit den deutschsprachigen Quellen und der älteren Sekundärliteratur. Alle Disziplinen und Epochen sind vertreten, von der antiken Medizingeschichte (RE:Augenärzte) bis zur neuzeitlichen Technikgeschichte (Perpetuum mobile).

* Die Unterhaltungsliteratur ist mit Krimis, vielen Romanen, Erzählungen und Gedichten aus der Illustrierten Die Gartenlaube oder auch der frühen Science-Fiction vertreten. Es gibt die Volksbücher (Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel), klassische Lügenmärchen (Des Freyherrn von Münchhausen Wunderbare Reisen), Groschenhefte, Robinsonaden und Ritterromane.

Recht, Musik und Honigbienen

* 55 (von 64) Württembergischen Oberamtsbeschreibungen

* Reichsgesetzblatt (Deutschland): Das ist ein echtes Desiderat im freien Internet, die Ausgaben vor 1919 sind ohne Konkurrenz und wurden deshalb auch über die Elektronische Zeitschriftenbibliothek verlinkt  für den  Nutzerservice im Routinebetrieb für 615 Bibliotheken bzw. Forschungseinrichtungen. Stand derzeit: Es wurden bisher 37 komplette Jahrgänge (mit Norddeutschem Bund) von 1867 bis 1903 mit 3015 Rechtstexten transkribiert. Darin enthalten sind  478 Verträge und Vertragsnachträge, viele davon sind zweisprachig (Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch,Dänisch, Schwedisch, Norwegisch,Ungarisch, Niederländisch, Russisch, Malagasy). Es erfolgen Zusammenstellungen auf passenden Wikisource-Themenseiten und Verlinkungen mit entsprechenden Wikipedia-Artikeln.

* Musik. Ein großes Feld. Geboten werden Grundlagentexte von Robert Schumanns Musikkritiken Gesammelte Schriften über Musik und Musiker oder Johann Joachim QuantzVersuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen bis zur Moderne. Links zu den einflussreichsten Musikzeitschriften und deren inhaltliche Erschließung bis hin zu Musiklexika.

Am einfachsten erschließt sich die Vielfalt aber durch einen Blick auf die Themenseiten: von Odysseus über Honigbienen bis zu Parfüm, Seifen und Kosmetik (um nur ganz willkürlich zu verfahren) finden sich Links zu Volltexten (zum sofortlesen und zitieren), Übersichten der Literatur die per Klick zu erreichen ist bis zu Hinweisen auf Themenverwandtes und Entfernteres.

Großprojekte

Großprojekte: Es gibt dann noch eine handvoll Großprojekte, an die sich keine öffentliche Institution herantraut (und wenn, mit wenig Fortüne). Ganz Schlaglichtartig:

* Die Allgemeine Deutsche Biographie, tja, das sind gleich rund 26.000 Personenartikel zur Deutschen Geschichte, die mittlerweile auch durch öffentlich geförderte Portale dargeboten werden, aber, wie sich herausstellt, in ungenügender Textredaktion – einfach nur eine gute OCR über historische Texte laufen zu lassen reicht nicht. Sachverstand gehört dazu, Fleiß auch und so: die Verlässlichkeit liegt bei WikiSource…! Nebenbei bemerkt sind zehntausende der Wikipedia-Artikel über Personen des 9ten–19ten Jahrhunderts durch dieses Projekt aufgewertet worden.

* Die Gartenlaube – wie unzählig oft sind Witze über diese „Familienzeitschrift“ gemacht worden. Aber nüchtern betrachtet haben wir es hier mit knapp fünfzig Jahren (1853–1899 – obwohl die Zeitschrift, durch alle Stadien der Perversion bis 1944 weitergeführt wurde) Kulturgeschichte aus erster Hand zu tun. „Gartenlaube“, das klingt nach ‚Familien–Nettigkeiten‘ im Stile von „Bunte“ oder „Bild der Frau“. Aber weit gefehlt. Was hier an Daten-Fakten–Dokumenten versammelt ist (aber auch – gelegentlich an: Indoktrination) das kann sich in Bezug auf heutigen Journalismus absolut sehen lassen. So gründlich werden heutigentags die Leser weder von der „Zeit“ noch vom „Spiegel“, noch gar vom „Focus“ informiert.

* Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaftca. 13.300 Artikel. Spektakuläres Projekt zur Sicherung unseres klassisch-antikes Erbes. Hier vereinigt sich Sachkompetenz mit den Erkenntnissen früheren Jahrhunderten. Überflüssig zu sagen: ein Projekt unabhängig von außerordentlich teuren akademischen Projekten.

*Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, jetzt bereits ca. 10.000 Artikel – ein geradezu heroisches Projekt von unser Userin ”Zabia”. Das 60bändige Werk von Constantin von Wurzbach transkribiert und gewidmet: 60 Bände, Wien 1856–1891, mit Nachrichten und derart präzisen biographischen und werkgeschichtlichen Fakten, die bis heute nicht eingeholt sind… Ein Lebenswerk… Nein, dero zwei…

* Ach, da wären noch die „Zeitschriften“, nein, nicht nur ein Überblick, welche Periodika in der Kulturgeschichte relevant wurden, sondern: wo man sie bekommt – und: was in ihnen enthalten ist. Ein Service, dem die Bibliothekare Mitteleuropas in den letzten 300 Jahren nicht nachzukommen in der Lage waren – Wikisource hilft – wissend, dass nicht nur Bücher, sondern auch Artikel und Essays die Weltgeschichte vorangetrieben haben.

Schätze der Artikel aus Zeitschriften, Jahrbüchern und sonstigen Periodika

Selbstverständlich suchen die Sourcianer enge Vernetzung mit den Pedianern. Denn das Wissensversum kennt nicht nur Oberflächen, sondern auch Tiefenstaffelung. Das betrifft nicht nur die Kreuz- und Querverweis von Autoren- oder Themenartikel. Das betrifft z. B. auch Lesehilfen. Taucht in einem Text die Rede von Captatio benevolentiae auf, schon hilft ein Klick über die verpasste Lateinstunde hinweg.

Seit kurzem beginnt WS auch eine Aufgabe zu erfüllen, die seit Hunderten Jahren von den Bibliotheken nicht erfüllt wird. Nämlich die Schätze der Artikel aus Zeitschriften, Jahrbüchern und sonstigen Periodika zu heben. Das betrifft die inhaltliche Erschließung so einflussreicher Magazine wie die Deutsche RundschauNord und Süd oder der Neue Zeitschrift für Musik, in denen keineswegs nur Geschwätz des Tages und Ereignisse der Nachbarstadt gemeldet wurden, sondern hauptsächlich profunde Essays oder Erstdrucke wie Ueber die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden von Heinrich von Kleist – um nur ein Beispiel von sehr vielen zu nennen.

Für alle Beteiligten ist es sehr schön zu sehen, dass sich der Kreis der Aktiven langsam aber stetig vergrößert. Aber überaus erstaunlich ist die Tatsache, was eine dann doch so überschaubare Community an Texten gewälzt hat: 30.000 waren es jüngst und noch bevor der Gedenksteinartikel geschrieben ist, sind es wieder ein paar Hundert mehr – und unter der Wasseroberfläche…

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